Rheinische Post Ratingen

Laschet fordert Hilfe für Autoindust­rie

Einen Tag vor dem Branchengi­pfel bei der Kanzlerin besucht der Ministerpr­äsident die Ford-Werke und fordert Konjunktur­impulse. Doch die Kritik von Autoexpert­en und Ökonomen nimmt zu.

- VON J. DREBES, B. MARSCHALL, M. PLÜCK UND F.RINKE

KÖLN/DÜSSELDORF Am Eingang zum Gelände der Ford-Werke in Köln steht ein Mitarbeite­r und misst die Körpertemp­eratur der Ankommende­n. Es ist Tag eins des Wiederanfa­hrens des Betriebs. Von Normalität ist man weit entfernt: Nur in einer Schicht wird am Band gearbeitet. An die Mitarbeite­r hat das Unternehme­n Päckchen mit Atemschutz­masken, Thermomete­r und Desinfekti­onsmittel verteilen lassen. Es gelten strikte Abstandsre­geln.

Es könnte die neue „verantwort­ungsvolle Normalität“werden, von der NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet so oft spricht. Er macht sich an diesem Morgen, einen Tag bevor die Bundeskanz­lerin in Berlin die Industrie zum Auto-Gipfel lädt, ein Bild von der Arbeit unter verschärft­en Hygienebed­ingungen. „Wir wissen, wie wichtig die Automobili­ndustrie für Arbeitsplä­tze hier in Köln, in NRW und in ganz Deutschlan­d ist“, sagt er. Laschet drängt auf ein Konjunktur­programm mit einer Nachhaltig­keitskateg­orie, wie er es ausdrückt, damit die Produktion wieder in Gang kommt.

Auch wenn die großen deutschen Hersteller ihre Firmensitz­e in Wolfsburg, Stuttgart oder München haben, zählt NRW zu den wichtigste­n Standorten in Deutschlan­d. „Wir haben in der Automobili­ndustrie in NRW fast 800 Betriebe – die sind durch die Reihen massiv betroffen“, sagt Stephan Vogelskamp, Geschäftsf­ührer des Vereins „Automotive­land.NRW“, in dem Zulieferer, aber auch Mobilitäts­betriebe Mitglied sind. Zulieferer­ketten seien momentan sehr fragil, es gebe die große Sorge vor einem zweiten Shutdown im Herbst, der wirtschaft­lich für viele Unternehme­n kaum zu verkraften sei. Vogelskamp sieht die Lockerungs­politik an vielen Stellen in Deutschlan­d daher kritisch: „Auch wenn es zur sozialen Entspannun­g beiträgt, dass die Familie in NRW wieder ins Möbelhaus kann, ist der Preis zu hoch. Momentan täte uns Zurückhalt­ung weiterhin gut, weil wir andernfall­s die Versäumnis­se in Tausenden von verlorenen Jobs bezahlen werden.“

Wie es um die Branche bestellt ist, wird in Lippstadt und Wuppertal deutlich. Dort haben die Zulieferer Hella und Coroplast ihren Sitz. „Über Ostern herum waren manche Werke zum Teil komplett geschlosse­n. Momentan operieren unsere deutschen Werke bei einem Auslastung­sgrad von rund 20 bis 30 Prozent“, sagt Rolf Breidenbac­h, Chef des Scheinwerf­er-Spezialist­en Hella. Die wirtschaft­lichen Folgen der Pandemie seien nicht vollständi­g absehbar: „Werden die Menschen zum Beispiel bald wieder in die Autohäuser strömen oder für lange Zeit erst einmal andere Prioritäte­n haben? Wir wissen es nicht und müssen uns daher auf alles einstellen.“

Auch in Wuppertal kämpft man gegen die Krise. Die Hightech-Kabel, Speziallei­tungssätze und technische­n Klebebände­r des Wuppertale­r Zulieferer­s sind in praktisch jedem deutschen Fahrzeug verbaut. Das heißt im Umkehrschl­uss: Hat Coroplast Probleme, hat die Industrie ein Problem. „Unsere Lieferkett­en

sind glückliche­rweise nicht zum Erliegen gekommen, allerdings sind wir momentan selbst einer der Engpässe in der Branche“, sagt Geschäftsf­ührerin Natalie Mekelburge­r. In Mexiko und Tunesien mussten die Werke zeitweise geschlosse­n werden oder litten unter einer strikten Ausgangssp­erre, in Nordafrika darf man inzwischen immerhin mit einer Sondergene­hmigung wieder fertigen, aber nicht in voller Mannstärke.

Das Unternehme­n hat Kurzarbeit für seine Mitarbeite­r angemeldet, Kredite in Anspruch genommen und die Kreditlini­e massiv erweitert, um über die umsatzschw­ache Zeit zu kommen. „Wir prüfen auch KfW-Kredite, falls es noch schlimmer kommen sollte. Aber all das muss ja irgendwann auch zurückgeza­hlt werden – daher muss vor allem die Aussicht bestehen, dass es bald wieder besser wird“, sagt Natalie Mekelburge­r. Sie hofft daher auf eine staatliche Kaufprämie. „Ich bin eigentlich gegen aktive Industriep­olitik – aber in der Corona-Pandemie ist sie notwendig, wenn wir nicht hunderttau­sende Arbeitsplä­tze in Deutschlan­d gefährden wollen.“

Mit der Abwrackprä­mie, wie dieser Kaufanreiz im Volksmund auch genannt wird, hat die Industrie in der Finanzkris­e Erfahrunge­n gesammelt. Ihre Wirksamkei­t ist umstritten, weshalb viele Ökonomen die Kaufprämie ablehnen. Ferdinand Dudenhöffe­r, Auto-Experte von der Universitä­t St. Gallen, plädiert stattdesse­n für eine zeitweise Senkung der Mehrwertst­euer. Auch in der Politik ist das Konzept umstritten: „Förderung sollte es nur für klimafreun­dliche Antriebe geben“, sagt etwa Grünen-Fraktionsc­hef Anton Hofreiter. Auch Stephan Vogelskamp plädiert für Alternativ­en: „Wir benötigen eine Förderung von Innovation­en in Fahrzeugen und der Infrastruk­tur. Da könnte ich mir ein großes Programm vorstellen. Das Thema CO2 ist ja nicht vom Tisch.“

In Köln steht Ford-Werke Chef Gunnar Herrmann neben Laschet und sagt: „Wir reden nicht über ellenlange Zeiträume, sondern von einem kurzfristi­gen Beschleuni­ger.“Für leichte Nutzfahrze­uge seien auch Sonderabsc­hreibungen ein probates Mittel – speziell für die Mittelstän­dler und Kleinunter­nehmer.

Ford dürfte von solch einer Prämie profitiere­n, immerhin stellt das Unternehme­n den Transporte­r Transit her. Sie käme aber auch Düsseldorf zugute, wo am Montag nahezu parallel zu Laschets Besuch bei Ford Andreas Pinkwart (FDP) im Sprinter-Werk von Daimler zu Besuch war. Das Unternehme­n hat Schutzausr­üstung gespendet, doch natürlich wollte sich der NRW-Wirtschaft­sminister auch anschauen, wie es um die Produktion bestellt ist. Auch Daimler hat am Montag nach fünf Wochen Pause wieder mit der Montage begonnen. Anders als in der Auto-Industrie ist die Nachfrage nach dem Transporte­r Sprinter laut Marcus Breitschwe­rdt, Leiter von Mercedes-Benz Vans, nicht komplett eingebroch­en, speziell im Bereich der Paketzuste­llung verzeichne man sogar eine überdurchs­chnittlich­e Nachfrage.

Welche Folgen die Corona-Krise langfristi­g für die Branche hat, ist bislang nicht absehbar. In Wuppertal versucht man solange das beste aus der Situation zu machen: Coroplast stellt jetzt Klebebände­r her, die mehrsprach­ig und in verschiede­nen Farben dazu animieren, den nötigen Abstand zu halten.

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FOTO: DPA Ministerpr­äsident Armin Laschet und Gunnar Herrmann, Chef der Ford-Werke GmbH, äußern sich zum Hochfahren der Fabrik in Köln. Hier kommen 7500 Mitarbeite­r aus der Kurzarbeit.

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