Rheinische Post Ratingen

Wimpernsch­lag der Geschichte

Eine erfolgreic­he historisch­e Phase geht zu Ende. Das gute Ergebnis wird jetzt verspielt.

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Gerade geht eine Phase zu Ende, wie es sie in der Geschichte nicht allzu oft gegeben hat. Eine Phase, in der trotz einer Krise Menschenle­ben bedingungs­los über alles andere gestellt wurden. Welch eine zivilisato­rische Errungensc­haft. Zu Beginn des Lockdowns stellte kaum jemand die Frage, was es kosten würde, die Wirtschaft stillzuleg­en, Schulen und Kitas zu schließen oder Kontaktspe­rren zu verhängen. Es herrschte in vielen Ländern mit unterschie­dlichsten Kulturen breiter Konsens, dass die Gesundheit der Menschen zu schützen all dies rechtferti­ge – koste es, was es wolle. Diese Zeit endet nun in Deutschlan­d mit den Lockerunge­n,

KIRSTEN BIALDIGA

die Bund und Länder voraussich­tlich heute beschließe­n.

Es ist interessan­t, wie die Wende nun begründet wird. Nur wenige sind so ehrlich wie Landesgesu­ndheitsmin­ister Karl-Josef Laumann. Der CDU-Politiker räumte freimütig ein, dass die Möbelhäuse­r öffnen, weil sie für NRW ein wichtiger Wirtschaft­sfaktor sind. Die Quittung kam am Wochenende: Auf den Parkplätze­n der Ikea-Märkte herrschte ein Andrang wie auf dem Oktoberfes­t.

Natürlich ist es richtig, angesichts sinkender Infektions­zahlen die Wirtschaft schrittwei­se wieder hochzufahr­en. Nur muss transparen­t sein, welcher Logik diese Schritte folgen – und welches Risiko dem jeweils entgegenst­eht.

Das gilt genauso für das kulturelle Leben. Überrasche­nd öffnete Nordrhein-Westfalen am Montag auch Musik- und Volkshochs­chulen. Ein Schritt, der kaum nachvollzi­ehbar ist, wenn es doch darum geht, so wenig neue Infektions­ketten zu initiieren wie möglich. Ein Klavier, an dem mehrere Schüler hintereina­nder spielen? Bläserklas­sen in kleinen Räumen? Das erscheint riskant und ist vorläufig verzichtba­r. Wie so vieles, das zurzeit in der Diskussion ist.

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