Streit über Katastrophenschutz
Bundes- und Landespolitiker sind uneins über Konsequenzen aus der Corona-Krise.
DÜSSELDORF Die Pläne für eine stärkere Rolle des Bundes beim Bevölkerungsschutz als Reaktion auf Versorgungsengpässe in der Corona-Krise stoßen in NRW auf heftigen Widerstand. „Ich halte das für den falschen Weg. Der Föderalismus in Deutschland ist eine Stärke, um die wir weltweit beneidet werden“, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) unserer Redaktion. Wie gut die Zusammenarbeit von Bund und Ländern funktioniere, habe sich etwa bei den Hochwasserlagen an Elbe und Oder gezeigt. „Auch in der aktuellen Corona-Krise bringt jeder Partner seine Stärken ein. Eine Stärke der Länder ist, dass sie nah dran sind und deshalb ganz genau die Verhältnisse vor Ort kennen. Das wäre mit Zentralismus nie zu leisten“, so der Innenminister.
Politiker von Grünen und SPD in Berlin sind anderer Auffassung. Sie fordern eine Grundgesetzänderung, um den Bevölkerungsschutz zu reformieren und die Kompetenzen des Bundes zu stärken. Zuletzt hatte SPD-Landeschef Sebastian Hartmann, gleichzeitig Obmann im Bundestagsinnenausschuss, dazu ein Konzeptpapier vorgelegt. Über einen entsprechenden Antrag der Grünen-Fraktion im Bundestag berät am heutigen Mittwoch der Innenausschuss. Auch Experten einer Berliner Denkfabrik hatten entsprechende Vorschläge eingebracht.
In Deutschland sind in Friedenszeiten die Länder für den Schutz vor großen Unglücken und Katastrophen zuständig („Katastrophenschutz“). Der Bund hingegen hat die Aufgabe, die Bevölkerung vor kriegsbedingten Gefahren zu schützen („Zivilschutz“). Wechselseitig ist es aber möglich, auf die Ressourcen des anderen zuzugreifen („integriertes Hilfeleistungssystem“).
„Die Diskussion um Änderungen im Bevölkerungsschutz ist überfällig. Wir haben dazu bereits im März einen Antrag eingebracht, der die Schaffung einer Zentralstellenfunktion für das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe vorsieht“, sagte die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Irene Michalic, unserer Redaktion. Es solle eine ähnliche Stelle im Bevölkerungsschutz geschaffen werden, wie es sie im polizeilichen Bereich des Bundeskriminalamts bereits gebe. „Die aktuelle Pandemie zeigt deutlich auf, dass es eine stärkere Koordinierung zwischen Bund und Ländern geben muss“, so Mihalic. Die Bundesregierung müsse sich klar positionieren. „Es ist alarmierend, dass das Bundesinnenministerium in dieser Krise vor allem durch Abwesenheit auffällt und offensichtlich erwartet, dass das Parlament
als stiller Zuschauer diesen Zustand akzeptiert.“
Im Antrag der Grünen-Bundestagsfraktion heißt es, für bundesweite, länderübergreifende oder besondere Lagen wie Dürrekatastrophen oder Pandemien bedürfe es einer zentralen Koordination zum Informations- und Ressourcenmanagement. Aktuell verfüge der Bund dafür aber nicht einmal über die nötigen Informationen.
Auch SPD-Landeschef Hartmann sieht gravierende Mängel in der Kooperation von Bund und Ländern: Die Vorräte an Schutzmaterial hätten nicht ausgereicht, um auf die Corona-Krise angemessen zu reagieren. Die Pandemiepläne der Länder stammten größtenteils von Mitte der 2000er Jahre. Auch der SPD-Politiker fordert mehr Kompetenzen für das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Deren Risikoanalysen und länderübergreifenden Krisenmanagementübungen lieferten wertvolle Erkenntnisse. Das Bundesamt müsse auch die Umsetzung der aus diesen Übungen gewonnenen Erkenntnisse überwachen. Die Länder müssten verpflichtet werden, ihre Schutzpläne regelmäßig zu überprüfen und anzupassen.
Die Reformpläne stoßen in NRW auch beim CDU-Koalitionspartner FDP auf wenig Gegenliebe: „Tatsächlich ließen sich im Bereich des Katastrophenschutzes erhebliche Verbesserungen jedoch ohne Änderung des Grundgesetzes erreichen“, sagte Werner Pfeil, Sprecher für Feuerwehr und Katastrophenschutz der FDP-Fraktion. Es brauche noch mehr Aktivität und Planung der Länder und gerade keine Kompetenzverlagerung auf den Bund.