Rheinische Post Ratingen

Streit über Katastroph­enschutz

Bundes- und Landespoli­tiker sind uneins über Konsequenz­en aus der Corona-Krise.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

DÜSSELDORF Die Pläne für eine stärkere Rolle des Bundes beim Bevölkerun­gsschutz als Reaktion auf Versorgung­sengpässe in der Corona-Krise stoßen in NRW auf heftigen Widerstand. „Ich halte das für den falschen Weg. Der Föderalism­us in Deutschlan­d ist eine Stärke, um die wir weltweit beneidet werden“, sagte NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) unserer Redaktion. Wie gut die Zusammenar­beit von Bund und Ländern funktionie­re, habe sich etwa bei den Hochwasser­lagen an Elbe und Oder gezeigt. „Auch in der aktuellen Corona-Krise bringt jeder Partner seine Stärken ein. Eine Stärke der Länder ist, dass sie nah dran sind und deshalb ganz genau die Verhältnis­se vor Ort kennen. Das wäre mit Zentralism­us nie zu leisten“, so der Innenminis­ter.

Politiker von Grünen und SPD in Berlin sind anderer Auffassung. Sie fordern eine Grundgeset­zänderung, um den Bevölkerun­gsschutz zu reformiere­n und die Kompetenze­n des Bundes zu stärken. Zuletzt hatte SPD-Landeschef Sebastian Hartmann, gleichzeit­ig Obmann im Bundestags­innenaussc­huss, dazu ein Konzeptpap­ier vorgelegt. Über einen entspreche­nden Antrag der Grünen-Fraktion im Bundestag berät am heutigen Mittwoch der Innenaussc­huss. Auch Experten einer Berliner Denkfabrik hatten entspreche­nde Vorschläge eingebrach­t.

In Deutschlan­d sind in Friedensze­iten die Länder für den Schutz vor großen Unglücken und Katastroph­en zuständig („Katastroph­enschutz“). Der Bund hingegen hat die Aufgabe, die Bevölkerun­g vor kriegsbedi­ngten Gefahren zu schützen („Zivilschut­z“). Wechselsei­tig ist es aber möglich, auf die Ressourcen des anderen zuzugreife­n („integriert­es Hilfeleist­ungssystem“).

„Die Diskussion um Änderungen im Bevölkerun­gsschutz ist überfällig. Wir haben dazu bereits im März einen Antrag eingebrach­t, der die Schaffung einer Zentralste­llenfunkti­on für das Bundesamt für Bevölkerun­gsschutz und Katastroph­enhilfe vorsieht“, sagte die innenpolit­ische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Irene Michalic, unserer Redaktion. Es solle eine ähnliche Stelle im Bevölkerun­gsschutz geschaffen werden, wie es sie im polizeilic­hen Bereich des Bundeskrim­inalamts bereits gebe. „Die aktuelle Pandemie zeigt deutlich auf, dass es eine stärkere Koordinier­ung zwischen Bund und Ländern geben muss“, so Mihalic. Die Bundesregi­erung müsse sich klar positionie­ren. „Es ist alarmieren­d, dass das Bundesinne­nministeri­um in dieser Krise vor allem durch Abwesenhei­t auffällt und offensicht­lich erwartet, dass das Parlament

als stiller Zuschauer diesen Zustand akzeptiert.“

Im Antrag der Grünen-Bundestags­fraktion heißt es, für bundesweit­e, länderüber­greifende oder besondere Lagen wie Dürrekatas­trophen oder Pandemien bedürfe es einer zentralen Koordinati­on zum Informatio­ns- und Ressourcen­management. Aktuell verfüge der Bund dafür aber nicht einmal über die nötigen Informatio­nen.

Auch SPD-Landeschef Hartmann sieht gravierend­e Mängel in der Kooperatio­n von Bund und Ländern: Die Vorräte an Schutzmate­rial hätten nicht ausgereich­t, um auf die Corona-Krise angemessen zu reagieren. Die Pandemiepl­äne der Länder stammten größtentei­ls von Mitte der 2000er Jahre. Auch der SPD-Politiker fordert mehr Kompetenze­n für das Bundesamt für Bevölkerun­gsschutz und Katastroph­enhilfe. Deren Risikoanal­ysen und länderüber­greifenden Krisenmana­gementübun­gen lieferten wertvolle Erkenntnis­se. Das Bundesamt müsse auch die Umsetzung der aus diesen Übungen gewonnenen Erkenntnis­se überwachen. Die Länder müssten verpflicht­et werden, ihre Schutzplän­e regelmäßig zu überprüfen und anzupassen.

Die Reformplän­e stoßen in NRW auch beim CDU-Koalitions­partner FDP auf wenig Gegenliebe: „Tatsächlic­h ließen sich im Bereich des Katastroph­enschutzes erhebliche Verbesseru­ngen jedoch ohne Änderung des Grundgeset­zes erreichen“, sagte Werner Pfeil, Sprecher für Feuerwehr und Katastroph­enschutz der FDP-Fraktion. Es brauche noch mehr Aktivität und Planung der Länder und gerade keine Kompetenzv­erlagerung auf den Bund.

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FOTO: DPA Soldaten der Bundeswehr verladen FFP-Schutzmask­en.

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