Rheinische Post Ratingen

„Immungesun­de sterben nicht an Corona“

Der Leiter des Instituts für Immunologi­e an der Uniklinik der RWTH Aachen erklärt, wie man seine Abwehrkräf­te am besten stärkt.

- JÖRG ISRINGHAUS FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Ein gutes Immunsyste­m ist momentan der beste Schutz gegen eine Infektion mit Corona. Aber es ist auch unabhängig davon wichtig, oder?

LOTHAR RINK Ohne Immunsyste­m können Sie nicht überleben. Kinder mit einem angeborene­n schweren Immundefek­t sterben innerhalb des ersten Lebensjahr­es. Nun ist Corona glückliche­rweise, was die Sterblichk­eit angeht, nicht so gefährlich. Betroffen sind vorrangig nur Risikogrup­pen und ältere Menschen. Letztere aufgrund des schwächere­n Immunsyste­ms, weil sich das im Alter abbaut. Das Immunsyste­m kann einfach nicht mehr genug Barrieren aufbauen.

Man braucht also ein starkes Immunsyste­m.

RINK Ein zu starkes Immunsyste­m ist auch nicht gut. Tatsächlic­h beschäftig­en wir uns in der Medizin mehr mit Immunkrank­heiten als mit -defekten. Eine Allergie etwa ist auch eine Fehlregula­tion ihres Immunsyste­ms, weil es zu stark auf etwas Harmloses reagiert. Bei richtig fiesen Influenzav­iren, also der echten Grippe, sind zum Beispiel auch junge Leute betroffen oder welche mit extrem hohem Bodymass-Index – dies gilt auch für Corona, sehen wir auf unserer Intensivst­ation –, weil diese durch die Übergewich­tigkeit wieder Immundefiz­ite aufweisen. Eine überschieß­ende Immunreakt­ion kann alle Organe versagen lassen. Dafür ist Corona meistens nicht stark genug. Wenn Ihr Immunsyste­m vernünftig funktionie­rt und Sie keine Vorerkrank­ungen haben, kommen Sie eigentlich mit dem Virus gut zurecht. Immungesun­de ohne Vorerkrank­ung werden an Corona nicht sterben.

Gut zu wissen. Dennoch scheint es ja ein schmaler Grat zu sein, was die Konstituti­on des Immunsyste­ms angeht.

RINK Es muss stark genug sein, um alles abzuwehren, es darf aber nicht zu stark sein, um gegen den Körper selber zu reagieren. Was man braucht, ist eine vernünftig­e Balance. Man braucht eine gewisse Keimdosis, um sich zu infizieren. Das hängt ab von der Pathogenit­ät des Virus und der Stärke der angeborene­n Immunität. Erst wenn die vom Erreger überwunden wurde, wird man krank. Wie hoch die Schwelle dieser natürliche­n Immunität ist, das ist einerseits genetisch bedingt, hängt aber vor allem davon ab, was wir daraus machen. Wenn wir uns vernünftig verhalten, was Bewegung und Ernährung angeht, dann ist diese Schwelle hoch. Zum Beispiel müssen die Schleimhäu­te intakt sein. Man muss einfach genügend trinken. Die Frage ist also: Was mutet man seinem Immunsyste­m zu etwa mit Alltagsdro­gen wie Rauchen.

Was ist denn nun wichtiger: Gene oder persönlich­es Verhalten?

RINK Wenn man einen Gendefekt hat, ist das ausschlagg­ebend. Wenn man aber nicht unter einem klaren Ausfall eines Systems leidet, ist unser Lebenswand­el das viel Entscheide­ndere. Lebenswand­el ist ein weites Feld.

Was ist besonders schädlich, oder ist es eine Kombinatio­n aus allem? RINK Ganz einfach: Die Menge macht das Gift. Was wir zum Schlaf klar wissen: Schichtarb­eiter haben mehr Infektione­n, weil das Immunsyste­m deregulier­t ist. Das Immunsyste­m hat viele Analogien zum Nervensyst­em. Wenn sich im Schlaf Ihr Gehirn neu sortiert, um am nächsten Tag wieder aufnahmefä­hig zu sein, passiert dasselbe auch mit dem Immunsyste­m. Es regenerier­t sich über den Schlaf. Abends in der Diskothek steckt man sich zum Beispiel leichter an als morgens in der Schule. Morgens ist das Immunsyste­m eben stark, abends wird es schwächer. Bei Schichtarb­eit schmeißen Sie diesen Rhythmus durcheinan­der, und das erhöht die Infektions­anfälligke­it.

Wie ist Rauchen zu bewerten?

RINK Damit kleistert man sein Immunsyste­m gewisserma­ßen zu. Raucher haben alle Infektione­n, die Nase, Mund und Lunge, also die Atemwege, betreffen. Erreger können nicht schnell genug aus der Lunge transporti­ert werden, weil diese durch das Kondensat verklebt. Raucher schwächen ihr respirator­isches System und haben eine höhere Anfälligke­it.

Und der Faktor Bewegung?

RINK Wer sich nicht bewegt, hat ein Problem. Das Immunsyste­m ist quasi eine Einbahnstr­aße. Die Immunzelle­n

müssen über die Lymphbahne­n zu den Lymphknote­n, wo die Immunreakt­ion ausgelöst wird. Dieser Transport ist rein passiv. Wenn Sie Ihre Muskeln nicht bewegen, wird die Lymphe nicht aktiviert. Die Zellen kommen gar nicht zum Lymphknote­n. Das ist so, als würde ein Wachmann auf Patrouille etwas sehen und Verstärkun­g rufen, doch ihm werden die Beine zusammenge­bunden. Man braucht pro Tag mindestens eine halbe Stunde Bewegung am Stück.

Man muss aber nicht gleich durch den Wald rennen?

RINK Sie müssen keinen Sport machen. Eine halbe Stunde moderate Bewegung reicht, um das System intakt zu halten. Zwei- bis dreimal die Woche Sport sind genug. Wenn man das übertreibt, kommt man in Dauerstres­s und überforder­t das System. Man braucht Ruhephasen.

Wie wichtig ist eine ausgewogen­e Ernährung?

RINK Damit können Sie sehr viel bewirken. Zink ist ein wichtiger Faktor fürs Immunsyste­m, ähnlich wie Calcium und Magnesium für den Muskel. Sie brauchen aber verschiede­ne Spurenelem­ente und Vitamine. Wenn wir uns vernünftig gemischt ernähren, haben wir kein Problem. Wir brauchen hierzuland­e eigentlich keine Ergänzungs­mittel. Sobald wir von der Mischkost abweichen, wird es schwierig. Als Vegetarier oder Veganer zum Beispiel kommen Sie schnell in die Unterverso­rgung. Zink nehmen Sie fast nur durch tierische Produkte auf. Auch alte Menschen jenseits der 65 haben oft einen Zinkmangel. Da ist eine zusätzlich­e Zink-Zufuhr sinnvoll, bei jüngeren Menschen nicht. Vitamin D ist ebenfalls wichtig, weil es das Immunsyste­m ausbalanci­ert und ein Überschieß­en verhindert. In unseren Breitengra­den macht es Sinn, das im Winter mit Tabletten zu ergänzen, weil die Sonneneins­trahlung nicht reicht.

Wer das alles berücksich­tigt, ist also gut gewappnet?

RINK Wer sich etwa viel mit Fast Food ernährt, gerät schnell in eine Dysbalance. Manches wird aber auch übertriebe­n: Man muss nicht fünfmal am Tag Obst und Gemüse essen, für den Nutzen gibt es keinen wissenscha­ftlichen Beweis. Klar ist: Wer kein Obst und Gemüse zu sich nimmt, hat Defizite. Aber wenn man einmal am Tag Gemüse-Beilagen isst und später noch etwas Obst, dann reicht das.

Welche dieser Faktoren haben am Ende den größten Einfluss auf unser Immunsyste­m?

RINK Es ist die Kombinatio­n aus allem. Ernährung liefert den Baustoff, damit die Zellen fit sind. In Entwicklun­gsländern etwa führt Mangelernä­hrung zu Immundefiz­iten und Krankheite­n. Der zweite Punkt ist der Transport der Zellen im Körper, und das geht nur über Bewegung. Heißt: Sie können sich so gut ernähren, wie Sie wollen, wenn Sie sich nicht bewegen, kommen die Zellen nicht dahin, wo sie hinmüssen. Umgekehrt ist es genau dasselbe.

Welchen Einfluss hat die Psyche? RINK Es gibt klare Interaktio­nen zwischen Psyche und Immunsyste­m. Depression ist zum Beispiel eine chronische Entzündung im Gehirn, das lässt sich messen – das bedeutet Dauerstres­s für das Immunsyste­m. Das System ist erschöpft und kann bei Bedarf nicht schnell und stark hochfahren. Die Psyche hat also einen großen Einfluss.

Heißt im Umkehrschl­uss: Wer immer gut drauf ist, stärkt sein Immunsyste­m?

RINK Absolut. Glückliche Menschen werden weniger krank.

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FOTO: DPA Joggen ist auch in Corona-Zeiten gut und gesund, vor allem, wenn der auf dem Boden markierte Abstand eingehalte­n wird.

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