Neue Hoffnung nach der Schockstarre
Unternehmerin Anna Ullrich-Cattien hatte expandiert, neue Mitarbeiter eingestellt, ihr zweites Kind bekommen – dann kam Corona.
PEMPELFORT Es schien alles nahezu perfekt zu funktionieren für Anna Ullrich-Cattien. Ihr 2013 an der Ecke Pfalz- und Kaiserswerther Straße eröffnetes Atelier für Herren-Maßkonfektion („The Bloke“) lief gut, sehr gut sogar. Vor zwei Jahren kam ein zweiter Standort in Köln hinzu, das Angestellten-Team wurde entsprechend erweitert. Da in Düsseldorf der benachbarte Laden frei wurde, vergrößerte die Unternehmerin ihr Geschäft im vergangenen Sommer. Ein weiterer Mitarbeiter wurde eingestellt, fünf sind es nun insgesamt. „Ich fühlte mich gut aufgestellt, hatte das Geld, was ich in den Jahren zuvor erwirtschaftet hatte und beiseitelegen konnte, sinnvoll reinvestiert“. Anna Ullrich-Cattien wurde zum zweiten Mal schwanger, Casper erblickte im Februar das Licht der Welt. Dann kam Corona.
„Ich habe das anfangs auch unterschätzt. Zum ersten Mal so richtig wahrgenommen habe ich es wenig später, als die Nachrichten aus Ischgl kamen. Dann ging es Schlag auf Schlag – bis zum Shutdown.“Ihr Mann, der bei Peek & Cloppenburg ebenfalls in der Modebranche beschäftigt ist, in Kurzarbeit, ihre Angestellten ebenso, eine dreieinhalb Jahre alte Tochter und ein wenige Wochen alter Sohn. „Ich bin erst mal in Schockstarre verfallen, wurde in voller Fahrt brutal ausgebremst“, sagt die 38-Jährige. Doch schnell schaffte sie es, wieder in den Aktionsmodus zu schalten. „Ich habe meine alten Businesspläne hervorgekramt, geschaut, welche Rechnungen zwingend sofort bezahlt werden müssen und welche womöglich erst später. Ich habe mit der Sparkase verhandelt, den Steuerberater kontaktiert, mich um die Soforthilfe und natürlich das Kurzarbeitergeld gekümmert.“Obwohl ihre beiden Läden dicht waren, hatte Ullrich-Cattien plötzlich wieder einen Fulltime-Job. „Und das bei zwei kleinen Kindern und kaum Schlaf – eine explosive Mischung.“
Anna Ullrich-Cattien hielt auch den Kontakt zu ihren Kunden aufrecht, per Mail, telefonisch, bestellte Maßanzüge konnten an der Tür abgeholt und zu Hause anprobiert werden, „das hat sicher nicht jeder meiner Mitbewerber gemacht“. Sie hat die Kosten gesenkt, auf Fotoshootings verzichtet, alles auf ein Minimum reduziert, „und dennoch bleibt natürlich die Angst, ob es dich im nächsten Jahr überhaupt noch gibt“, räumt sie ein. Neben Geschäftsleuten sind es vor allem Männer,
die heiraten wollen, die zu ihren Kunden zählen, „und die Hochzeitssaison hat im März begonnen und geht in der Regel bis August. Der zu erwartende Umsatzrückgang wird nur schwer zu kompensieren sein“, prognostiziert die 38-Jährige.
Jetzt, wo die Läden wieder geöffnet haben dürfen, kehrt Anna Ullrich-Cattien zu einem vorsichtigen Optimismus zurück. Natürlich haben sie und ihr Team sich auf die veränderten Umstände eingestellt, es gibt ausreichend Handschuhe und Masken, ziemlich schicke zum Kauf und passend zur Krawatte noch dazu, außerdem lässt eine dicke Acrylglasscheibe am Beratungstresen nach wie vor das direkte Kundengesprach von Angesicht zu Angesicht zu. „Aber die Auswirkungen werden natürlich trotzdem schmerzlich sein. Hochzeitslocations sind dicht, die meisten haben
weniger Budget zur Verfügung, und auch Geschäftsmänner im Homeoffice werden erst mal nicht unbedingt darüber nachdenken, sich einen neuen Maßanzug zu kaufen, das ist nun mal ein Luxusartikel“, sagt die Inhaberin von „The Bloke“. Immerhin: „Der Januar und der Februar waren gut, das hilft. Aber jetzt muss das Geschäft natürlich langsam wieder Schwung aufnehmen“, betont Anna Ullrich-Cattien.