Schulen sollen digital aufrüsten
Viele Schüler in NRW werden noch lange ohne normalen Unterricht auskommen müssen. Für digitale Ersatz-Angebote fehlt oft die richtige Technik. Lehrer und Eltern forden nun Hilfe von der Politik – und die Opposition schließt sich an.
DÜSSELDORF Nur langsam kommt die Rückkehr von Schülerinnen und Schülern in den Präsenzunterricht in Gang. Verbände und Experten fordern deshalb jetzt eine Digital-Offensive, um den Rahmen fürs Lernen zu Hause zu schaffen. „Es ist gut möglich, dass es bis Ende des Jahres oder darüber hinaus nur teilweise regulären Unterricht gibt“, sagte Stefan Behlau, NRW-Chef des Verbandes Bildung und Erziehung. „Also muss der Unterricht mit digitalen Lernmitteln umso besser und verbindlicher werden.“Ähnlich äußerte sich Sabine Mistler, Vorsitzende des NRW-Philologenverbandes: „Auch nach den Sommerferien wird es wohl weniger Präsenzunterrricht als früher geben. Also müssen wir das Distanzlehren stärker unterstützen.“Sigrid Beer, schulpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, drückt es so aus: „Es geht darum, den Bildungsauftrag der Schule als staatliche Aufgabe auch unter widrigen Umständen zu realisieren.“
Die Bildungsexperten dringen darauf, dass das Land wo nötig alle Schüler mit brauchbaren Endgeräten ausstattet. „Nur dann kann digitaler Unterricht verpflichtend sein“, sagte Behlau. Es sei zwar lobenswert, wenn Berlin bundesweit 500 Millionen Euro für eine Digitaloffensive an Schulen anbiete. Doch der Zuschuss von 150 Euro pro Laptop oder Tablet für bedürftige Schüler müsse in NRW deutlich aufgestockt werden, sagte Jochen Ott, Vize-Chef der SPD-Landtagsfraktion. „Es ist nicht richtig, wenn das Schulministerium diese Aufgabe an die Kommunen abschiebt.“Ott forderte zudem einen zentralen Einkauf für die Hardware.
„Andere Länder wie Hamburg, Bayern und Baden-Württemberg sind bei der Digitalisierung deutlich weiter“, sagte Birgit Eickelmann, Pädagogikprofessorin von der Universität Paderborn. „Es wäre klug, wenn sich das Land nun auch um die Endgeräte kümmert, möglicherweise auch in Kooperation mit Partnern und den Kommunen.“Sie erinnerte daran, dass der Bund vor zwei Jahren fünf Milliarden Euro aus dem Digitalpakt bereitgestellt hatte, davon mehr als eine Milliarde für NRW. Doch abgerufen wurde nur wenig. „Es muss alles relativ unbürokratisch laufen“, sagte sie.
Doch nicht nur an der passenden Hardware mangelt es Bildungsexperten zufolge in NRW. Sie dringen darauf, dass das Land Klarheit schafft, welche Messaging- und Videodienste zugelassen sind, damit Lehrer und Schüler sich austauschen können – ein besonders wichtiger Punkt, solange kein normaler Präsenzunterricht möglich ist. Schulen und Kommunen improvisieren bislang in dieser Frage. „Viele nutzen einfach Video- oder Chatdienste, obwohl der Datenschutz unklar ist“, sagte Regine Schwarzhoff, Vorstand beim Elternverband NRW. Manche Lehrer würden die Datenschutzdebatte gar dafür missbrauchen, sich der Kommunikation mit den Schülern zu entziehen.
Ein Vorbild, wie es funktionieren könnte, ist Baden-Württemberg: Dort wurde Ende April eine
Profiversion des Schweizer Messenger-Dienstes Threema für die Schulen freigeschaltet. Die NRW-Landesregierung kündigte auf Anfrage an, bald eine Zusammenstellung zu dem Thema zu verteilen.
Als weitere offene Flanke an NRW-Schulen gilt das spärliche Angebot digitaler Dienste und Medien. So ist es unter Lehrern ein Dauerärgernis,
dass die für sie gedachte Online-Arbeitsplattform Logineo immer wieder überlastet ist. Das Schulministerium wies darauf hin, es habe kürzlich „didaktische Hinweise für das Lernen auf Distanz“veröffentlicht und mit Edupool eine „umfangreiche Datenbank mit digitalen Lehrinhalten“bereitgestellt. Doch der große Wurf ist das nicht.
Wo die Reise hingehen kann, zeigen Bremen und die Stadt Düsseldorf. Bremen kaufte die Lernplattform Itslearning für das ganze Bundesland ein – für Wissenschaftlerin Eickelman ein „funktionierendes Beispiel“. Weil NRW einen solchen Schritt nicht wagte, schaffte Düsseldorfs Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD) Itslearning für die Schulen seiner Stadt an, zusätzlich erwarb er noch 15.000 Tablet-Computer. „Es muss nun schnell gehandelt werden“, sagte Eickelmann. „Und es muss umgedacht werden: Digital-Unterricht ist nicht länger nur Beiwerk, sondern ein Stück Zukunft für Lehrer und Schüler.“