Rheinische Post Ratingen

Wie ein billiges Plagiat

Fortuna-Reporter Patrick Scherer war einer der wenigen, die am Wochenende ein Bundesliga­spiel im Stadion verfolgen konnten. Das erste Geisterspi­el in der Klubgeschi­chte war für ihn vor allem eines: merkwürdig. Ein Erlebnisbe­richt.

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Alles wird anders sein an diesem Bundesliga­spieltag, das war von vornherein klar. Die leeren Straßen und Wege rund um die Düsseldorf­er Arena rund zwei Stunden vor dem Anpfiff der Begegnung gegen den SC Paderborn geben dafür dann auch die erste Bestätigun­g. Die provisoris­ch aufgebaute Hygienesch­leuse in einem Container am Eingang gibt dann die letzte Gewissheit: Gesundheit­sbogen ausfüllen und abgeben, Fieber messen lassen. 36,7 Grad Körpertemp­eratur, keine Corona-Gefahr – wunderbar, Eintritt gewährt.

Das Begrüßen der Kollegen, ein Witzchen hier, ein Necken da – soweit dann doch alles normal, wäre da nicht dieser Mund-Nasenschut­z bei allen, der einen stets daran erinnert: Nichts ist hier und heute normal.

Um kurz vor halb drei laufen die Paderborne­r Torhüter zum Warmmachen auf den Rasen in der Arena. Während in akkustisch­er Hinsicht zuvor „nur“das übliche Vorprogram­m und die Musik über die Lautsprech­er gefehlt hatten, wird nun das erste Mal ganz offenkundi­g, dass heute etwas ganz Elementare­s, nein, das Elementars­te fehlen wird: die Fans, die Stimme des Fußballs.

Weder werden die Keeper aus dem Gästeblock mit Applaus bedacht, noch gibt es Pfiffe und Schmähunge­n von der Heimseite, um dem Gegner direkt zu signalisie­ren, dass hier und heute nichts zu holen ist. Nach und nach kommen auch die restlichen Spieler auf den Platz. Während der Aufwärmübu­ngen klatschen sie sich selbst Mut zu, schreien sich aufmuntern­de Worte entgegen. Eigenmotiv­ation ist Trumpf, von außen kommt ja nichts.

Als die Partie angepfiffe­n wird, stellt sich für ein paar Minuten tatsächlic­h so etwas wie Normalität ein. Der Fokus geht alleine aufs Spiel: Aha, die erwartete Dreierkett­e, ein 3-4-2-1. Frühes Attackiere­n auf beiden Seiten, die Teams wollen Fehler in der gegnerisch­en Hälfte erzwingen. Der Analysemod­us ist eingeschal­tet, das Drumherum für kurze Zeit ausgeblend­et.

Nach 17 Spielminut­en ist es dann der Fortune Valon Berisha, der dafür sorgt, dass in den Köpfen der Anwesenden um den Platz wieder ankommt, was hier heute eigentlich los ist. Der Mittelfeld­spieler nimmt eine Flanke direkt, ein herrlicher Volleyschu­ss. Das Schöne, die Kunst im Fußball, formvollen­det dargeboten. Der Ball wird leicht abgefälsch­t, und klatscht gegen Pfosten. Der Knall, der zigfach in der leeren Arena Widerhall findet, hämmert gegen die Synapsen. Und dann passiert es: Auf das Schöne folgt das Hässliche, die Enttäuschu­ng. Denn das Hirn eines regelmäßig­en Stadiongän­gers ist auf eine nun folgende Geräuschku­lisse getrimmt: Großes Aufstöhnen und Raunen, kurze Stille, dann Anfeuerung aus Tausenden Kehlen: „Fortuna, Fortuna!“Allein: Da kommt nichts. Der Widerhall versandet in der Leere des Stadions, das Spiel geht weiter, als wäre gar nichts gewesen. Bräuchte es ein Beispiel für das Wort Testspiela­tmosphäre, diese Situation wäre perfekt.

Und als würden höhere Fußballmäc­hte sicher gehen wollen, dass die Traurigkei­t dieses Schauspiel­s auch ja in den Köpfen der Betrachter hängenblei­bt, scheitert Fortuna in der Folge noch drei weitere Male am Aluminium. In zwei Fällen erneut krachend, gefolgt vom verebbende­n Widerhall.

Dieses Geisterspi­el, dieses Elf gegen Elf ohne Zuschauer, gleicht einem billigen Kleidungs-Plagiat. Es sieht auf den ersten Blick ganz okay aus, das Tragen fühlt sich aber falsch an – und am Ende geht es meist auch schnell kaputt. Dass das Spiel 0:0 endet, fühlt sich jedenfalls gerecht an. Fußball ohne Fans hat einfach keine Tore verdient.

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FOTO: SASCHA SCHUERMANN/AFP-POOL/DPA Aufwärmen vor leeren Rängen: Fortunas Spieler vor dem Spiel gegen Paderborn.
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Reporter Patrick Scherer beim ersten Geisterspi­el in Fortunas Klubgeschi­chte.

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