Vom Verschwinden der Schmetterlinge
Ein Großteil der in Deutschland lebenden Tierarten ist bedroht. Besonders Insekten sind gefährdet – nicht nur durch die Landwirtschaft.
BERLIN Welche Bedeutung die Natur für das eigene Wohlbefinden haben kann, wurde vielen Menschen erst in der Corona-Krise wieder bewusst. Ausflüge in Parks, Wälder und Naturschutzgebiete sind eine willkommene und wichtige Abwechslung zu Lockdown und Homeoffice. Doch vollständig intakte Lebensräume für Tiere und Pflanzen gibt es in Deutschland kaum noch. Das geht aus dem jüngsten Bericht zur Lage der Natur hervor, den Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) am Dienstag in Berlin vorstellte.
Demnach nehmen der Einsatz von Dünger und Pestiziden sowie das häufige Mähen von Wiesen immer mehr Tieren die Lebensgrundlage. Das Verschwinden artenreicher Wiesen und Weiden stehe am Anfang einer Kette, sagte Schulze. „Besonders kritisch ist die Lage bei Schmetterlingen, Käfern, Libellen.“In der Folge nimmt auch die Zahl der Vögel in der sogenannten Agrarlandschaft ab. „Wir haben heute nur noch ein Zehntel der Rebhühner und Kiebitze, die wir vor 25 Jahren hatten“, sagte die Ministerin bei der Vorstellung der „Generalinventur der Natur“.
Dafür nahmen Forscher rund 14.000 Stichproben über sechs Jahre – vom Schweinswal in der Nordsee bis zu Greifvögeln in den Alpen. Nicht alle der rund 50.000 in Deutschland lebenden Tierarten gehen also in den Bericht ein. Dennoch sei er repräsentativ, betonte Schulze.
Die Daten reichen jedoch nicht über 2018 hinaus. Wie sich also die besonders heißen Sommer der vergangenen zwei Jahre auswirkten, ist noch nicht bekannt. Das werde erst im nächsten Bericht in sechs Jahren erkennbar sein, sagte Schulze.
Dass Dürren und der fortschreitende Klimawandel jedoch Auswirkungen hätten, sei bereits klar.
Denn auch so ist das Überleben vieler Arten bedroht. Durch das Verschwinden und die Übernutzung von Lebensräumen ist ein Drittel aller geschützten Tierarten akut gefährdet. Die Ampel stehe auf Rot, sagte Schulze, für weitere 30 Prozent der Arten zeige sie Gelb. Fast 70 Prozent der Lebensräume sind aus Sicht des Artenschutzes in einem unzureichenden (32 Prozent) oder schlechten Zustand (37 Prozent), vor allem die landwirtschaftlich genutzten Flächen, aber auch Gewässer und Moore. Obwohl längst klar ist, wie wichtig blühende Magerwiesen für die Artenvielfalt sind, gehen sie weiter großflächig verloren, durch Umwandlung in Ackerland, Überdüngung und zu häufiges Mähen. Schmetterlinge und andere Insekten, die nektarreiche Blüten wilder Wiesen benötigen, sind besonders betroffen. 70 Prozent sind dem Bericht zufolge gefährdet oder vom Aussterben bedroht.
Schulze kündigte noch für 2020 ein Insektenschutzgesetz an und forderte, dass das kürzlich verschärfte Düngerecht konsequent umgesetzt werden müsse. Zudem verwies sie auf die für diesen Mittwoch erwartete Biodiversitätsstrategie der EU-Kommission, von der sie sich mutige Signale erhoffe, so Schulze.
Seit 2015 läuft gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren, weil die europäische Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie unzureichend umgesetzt wird. Sie schützt wildlebende Arten und die Erhaltung sowie Vernetzung ihrer Lebensräume. Bis Mitte Juni hat Deutschland noch Zeit, eine Anklage vor dem Gerichtshof der Europäischen Union abzuwenden. Für die Bundesregierung ist das ein peinlicher Vorgang, übernimmt sie doch im zweiten Halbjahr die EU-Ratspräsidentschaft. Schulze regte an, die Agrarförderung der EU an Naturschutzmaßnahmen der Landwirte zu knüpfen. Für öffentliches Geld müssten auch öffentliche Leistungen erbracht werden.
Der Bauernverband zog den Befund
des Berichts selbst nicht in Zweifel, wehrte sich aber gegen einseitige Schuldzuweisungen. „Viele Landwirte sind bereit, mehr im Vertragsnaturschutz zu tun, aber es bestehen bürokratische Hemmnisse und mangelnde Anreize“, sagte der stellvertretende Generalsekretär Udo Hemmerling. Die Naturschutzpolitik setze viel zu stark auf staatliche Auflagen. „Die Landwirte bleiben viel zu oft auf den Kosten des Naturschutzes sitzen, das muss sich ändern.“
Die Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz, Beate Jessel, betonte, dass andere Formen der Landwirtschaft und eine Ausweitung von Schutzgebieten besonders wichtig für mehr Artenschutz seien. Sie kritisierte, dass zum Beispiel Verstöße von Landwirten nicht geahndet würden, die Wiesen oder Weiden unerlaubt zu Äckern umwandelten. Aber auch Gartenbesitzer könnten mit abwechslungsreicher Bepflanzung dazu beitragen, dass sich Insekten in Siedlungsgebieten wohler fühlen. Wildbienen seien nach wie vor stark bedroht in Deutschland, sagte Jessel.
Doch es gibt auch Lichtblicke. Für ein Viertel der untersuchten Arten besteht dem Bericht zufolge keine Gefahr, darunter im Norden für den Seehund und im Süden für den Steinbock. Auch hätten sich in Wäldern und Siedlungsgebieten zuletzt wieder mehr Vögel angesiedelt, heißt es in dem Papier.