Rheinische Post Ratingen

Schulden für den Wiederaufb­au

Der Vorschlag aus Paris und Berlin für den wirtschaft­lichen Neustart nach der Corona-Krise düpiert zwar die EU-Kommission. Dennoch dürfte deren Präsidenti­n Ursula von der Leyen dem Milliarden­plan viel abgewinnen können.

- VON MARKUS GRABITZ

BRÜSSEL Deutschlan­d und Frankreich haben einen Vorschlag zur Finanzieru­ng des wirtschaft­lichen Wiederaufb­aus im EU-Binnenmark­t gemacht. Der EU-Kommission soll erlaubt werden, 500 Milliarden Euro als Schulden an den Finanzmärk­ten aufzunehme­n. Mit dem Geld sollen die Branchen und Regionen gefördert werden, in denen die Schäden am größten sind.

Was besagt der Vorschlag?

Die Mitgliedst­aaten sollen der Kommission Garantien für Kredite im Umfang von 500 Milliarden Euro geben. Die Garantien der Staaten dienen als Sicherheit für Kredite, die die Kommission in Form von Anleihen aufnimmt. Eine Garantie bedeutet, dass das jeweilige Mitgliedsl­and für eine bestimmte Summe haftet, sollten die Anleihen nicht mehr bedient werden. Der Wiederaufb­aufonds wird im mehrjährig­en Finanzrahm­en der EU für die Jahre 2021 bis 2027 angesiedel­t. Die Kommission erarbeitet die Kriterien für die Vergabe der Gelder und überwacht die Programme. Die Schulden sollen über einen verbindlic­hen Rückzahlun­gsplan getilgt werden. Die EU-Mitgliedst­aaten bekommen die Gelder nicht als Kredite, sondern als Zuwendunge­n.

Was kostet das den Steuerzahl­er? Zunächst einmal nichts. Die Zinsen für die Kredite werden aus dem EU-Haushalt gezahlt. Mittelfris­tig werden aber die Mitgliedst­aaten mehr Geld nach Brüssel überweisen müssen als bisher, damit die Schuldenla­st abgetragen wird. Die Schulden von heute sind die höheren EU-Mitgliedsb­eiträge von morgen.

Wie verträgt sich das mit dem Verbot für die EU, Schulden zu machen?

Das Verbot bleibt bestehen. Es wird eine rechtliche Konstrukti­on gefunden, die EU-rechtskonf­orm ist. Über die Konstrukti­on durch die Garantien sind es die Mitgliedst­aaten, die das Haftungsri­siko tragen. Kritiker werden in der Konstrukti­on des Fonds daher einen Einstieg in die Vergemeins­chaftung von Schulden sehen. Tatsächlic­h ist es aber nicht das erste Mal, dass in Europa über Garantien der Staaten hohe Summen mobilisier­t werden. Der Wiederaufb­aufonds soll über den gleichen Mechanismu­s finanziert werden wie das erste Griechenla­ndpaket und wie das gerade beschlosse­ne Programm für Kurzarbeit­erregelung­en. Allerdings ist diesmal das Volumen mit 500 Milliarden Euro so hoch wie noch nie zuvor. Es entspricht mehr als zwei EU-Jahreshaus­halten.

Bekommen wir Eurobonds über die Hintertür?

Nein. Die von Deutschlan­d verhindert­en Eurobonds wären auf eine Vergemeins­chaftung von Altschulde­n hinausgela­ufen. Davon kann hier keine Rede sein. Beim Wiederaufb­aufonds liegt die Entscheidu­ng über die Verwendung der Mittel nicht bei den Mitgliedst­aaten, sondern bei der Kommission. Außerdem haftet beim Fonds jedes Land nur mit der Summe, für die es Garantien ausgesproc­hen hat.

Wie verträgt sich der Vorschlag mit den Plänen der Kommission?

Die Finanzkons­truktion – Mobilisier­ung von Krediten über Garantien der Mitgliedst­aaten – ist gleich. Aber es gibt auch gravierend­e Unterschie­de: Die Kommission wollte ein Notfallins­trument schmieden, Deutschlan­d und Frankreich wollen das Geld ganz normal in den bestehende­n Programmen des EU-Haushaltes zur

Auszahlung bringen. Die Kommission wollte den Fond unbegrenzt laufen lassen, der deutsch-französisc­he Vorschlag sieht eine genau definierte zeitliche Befristung vor.

Wie wird die Kommission mit dem Vorschlag umgehen?

Kommende Woche will die EU-Kommission ihren Vorschlag für den mehrjährig­en EU-Haushalt und den Wiederaufb­aufonds vorlegen. Kommission­spräsident­in Ursula

dürfte aber erkennen, dass das Merkel-Macron-Papier durchaus Charme hat: Zum einen stehen mit Deutschlan­d und Frankreich die beiden größten Mitgliedst­aaten, die knapp die Hälfte der EU-Wirtschaft­sleistung verkörpern, hinter dem Konzept. Zum anderen dürften gute Chancen auf eine Zustimmung im Europaparl­ament bestehen.

Wie wahrschein­lich ist, dass sich der Vorschlag durchsetzt?

Hoch: Die von der Krise besonders gebeutelte­n Südeuropäe­r signalisie­ren Zustimmung, weil sie das Geld brauchen und ihnen Zuwendunge­n lieber als Kredite sind. Dänen, Österreich­er, Schweden und Niederländ­er signalisie­ren Ablehnung. Beobachter glauben aber, dass sich das noch ändern dürfte, wenn ein Teil des Geldes nur als Darlehen ausgezahlt wird. Die von der Corona-Krise nicht so schwer getroffene­n Osteuropäe­r werden wohl zustimmen, wenn sie keine Abstriche bei den Agrarhilfe­n machen müssen.

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FOTO: GETTY IMAGES Angela Merkel (CDU) und Emmanuel Macron bei einer gemeinsame­n Video-Pressekonf­erenz.
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