Corona digitalisiert Nordkorea
Um die Ansteckungsgefahr zu bannen, sollen möglichst viele Schüler online lernen. Die Software dafür gibt es, die Computer aber nicht immer.
PJÖNGJANG Bildung gehört zu den wichtigsten Tugenden in Nordkorea. So haben sich die Offiziellen eine Strategie überlegt, wie die Schüler auch in Zeiten von Covid-19 weiterlernen können. Laut der nordkoreanischen Nachrichtenseite „Arirang Meari“sind seit Mitte April Schulen im ganzen Land auf Online-Unterricht umgestiegen. Schüler ab der Mittelschule setzen demnach auf ein Programm, um damit von Lehrern gestellte Aufgaben in diversen Fächern zu lösen und so ihren eigenen Lernfortschritt zu überprüfen. „Arirang Meari“berichtet, Lehrer, Schüler und Eltern seien begeistert.
Die Software wurde nicht erst für den Umgang mit Covid-19 entwickelt, sondern ist ein Programm, mit dem sich Schüler eigentlich Schritt für Schritt auf das Universitätsstudium vorbereiten. Angelegt ist es insbesondere für koreanische Linguistik, Englisch, Geschichte, Geografie, Mathematik, Physik und Chemie.
Es umfasst den Lehrstoff bis zum zwölften Schuljahr, nach dem für die besten Schüler, sofern sie keinen Militärdienst leisten müssen, die Universitätslaufbahn beginnt.
Um die App zu nutzen, braucht man auch nicht unbedingt einen Computer. Ein Smartphone mit den entsprechenden Funktionen genügt. Und erst Anfang April wurde im Land eine neue Version der nationalen Smartphone-Reihe „Pjöngjang“vorgestellt, das Pjöngjang 2428. Es soll unter anderem Gesichtserkennung zulassen und drahtloses Laden ermöglichen. Und man kann die Bildungs-App nutzen, die nun so nützlich sein soll.
Was modern klingt, wirft zugleich eine Frage auf: Hat wirklich jeder Schüler Zugang zu dieser Software? Eine 2018 veröffentlichte Umfrage des koreanischen Statistikamts, die maßgeblich auf Fragebögen von Unicef basiert, deutet nicht darauf hin. Zum Zeitpunkt der Erhebung hatten demnach nur 18 Prozent der nordkoreanischen Haushalte einen
Computer. Wegen der Knappheit hochtechnologischer Güter sind selbst gebrauchte Notebooks teuer. Aus China importierte Laptops werden für umgerechnet mehrere Hundert Euro gehandelt.
Auch der Zugang zu Smartphones ist stark begrenzt. Laut der Umfrage besaßen 48 Prozent der Frauen und 56 Prozent der Männer zwischen 15 und 49 Jahren ein Mobiltelefon, wobei nicht klar ist, auf welchem technologischen Stand die Handys waren. Immerhin 86 Prozent dieser Bevölkerungsgruppe hatten in den vorausgegangenen drei Monaten ein Handy benutzt. Nur lässt sich kaum regelmäßig etwas erlernen, wenn man zu seinen Werkzeugen nur gelegentlich Zugang hat.
„Es ist höchst unsicher, ob das Onlinelernprogramm wirklich alle Schüler erreicht“, sagte Chung Eunchan, Professorin und Expertin für Nordkorea am staatlichen Bildungsinstitut für Wiedervereinigung in Südkorea. Zur Frage der Hardware kommt die der Verbindung: Statt eines offenen Internets bietet Nordkorea seinen Bürgern ein Intranet, über das nur bestimmte Inhalte abrufbar sind. „Aber dafür muss man bestimmte Orte aufsuchen. In privaten Haushalten gibt es weitere Restriktionen“, so Chung. „Für Schüler ist es also sehr schwierig, frei nach Informationen zu suchen oder am Online-Unterricht teilzunehmen.“
Trotzdem bedeutet der Versuch, den Unterricht in den virtuellen Raum zu verlagern, für Nordkorea einen Schritt in Richtung Zukunft. Das Staatsorgan „Rodong Sinmun“erkannte Anfang April an, dass es Schwierigkeiten gebe, die technologischen Unterschiede zwischen den städtischen und ländlichen Regionen des Landes zu überbrücken. Durch den Ausbau von Online-Kursen soll dies Stück für Stück gelingen. Dabei ist digitales Lernen weniger ein Problem der Software als der Infrastruktur – von zuverlässiger Stromversorgung bis zu Netzanschlüssen im ganzen Land.