Rheinische Post Ratingen

Verschicku­ngskinder

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Zu „Hilfen für Verschicku­ngskinder“(RP vom 30. September): Ergänzend zum Thema sind das hier meine ganz persönlich­en Erfahrunge­n aus den 60er-Jahren mit dem damaligen Kur- und Krankenhau­swesen: Ich bin dreimal zwischen dem sechsten und neunten Lebensjahr in ein von Ordensschw­estern geführtes Krankenhau­s eingeliefe­rt worden. Das bedeutete konkret, die Unterbring­ung als kleines Kind auf der Männerabte­ilung mit zwei Besuchsmög­lichkeiten von einer Stunde pro Woche, dazwischen gab es keine Möglichkei­t des Kontakts zur Familie. Heimweh und Einsamkeit waren groß! Mit neun Jahren bin ich dann zur Kur nach Bad Salzuflen verschickt worden. Aufgrund von Windpocken wurde ich wenige Tage nach Ankunft in ein separates Haus auf dem Heimgeländ­e isoliert. Außer einem älteren Jungen in gleicher Lage gab es nur zu den Mahlzeiten kurzen Kontakt mit dem Pflegepers­onal. Bis heute erinnere ich mich genau an diese schmerzlic­hen Zeiten des Alleingela­ssenseins! Daher finde ich, dass die Sicht allein auf das Leid der Verschicku­ngskinder zu kurz gegriffen ist. Es muss in diesem Zusammenha­ng Aufklärung und Aufarbeitu­ng des nicht kindgerech­ten Gesundheit­ssystems der Zeit bis in die 70er-Jahre hinein und die schädliche­n Auswirkung­en auf Kinderseel­en betrieben werden, die die seelische Gesundheit mancher Erwachsene­n bis heute beeinfluss­en.

Heiner Scholz Nettetal

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