Rheinische Post Ratingen

„Viele sind extrem nachlässig“

Die Knigge-Expertin Linda Kaiser vermittelt Takt und guten Stil. Die Hygiene im Umgang mit Masken wirft kein gutes Licht auf viele Menschen, wie die Benimm-Trainerin findet.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE BRIGITTE PAVETIC.

Die Krise spitzt sich in Düsseldorf weiter zu, es gibt auch neue Regeln, wann und wo wir die Maske zu tragen haben. Wie ist Ihr Eindruck fast acht Monate nach dem Shutdown im März?

LINDA KAISER Ich habe wie viele andere auch nichts anderes erwartet. Der erneute Anstieg der Neuinfekti­onen war ja für die kältere Jahreszeit prognostiz­iert. Am Anfang der Corona-Pandemie und auch in den Folgemonat­en wurde die Maske fast ein wenig als lästiges Accessoire wahrgenomm­en und nicht als Schutz vor dem Virus. Das hat mich schon recht verwundert und betroffen gemacht.

Beim Umgang mit der Maske sind der Fantasie – oder sollte ich besser sagen: dem Unbewusste­n – überhaupt keine Grenzen gesetzt. Viele haben Sie unter der Nase oder direkt unter dem Kinn. Was denken sich die Leute?

KAISER Vielen ist nicht bewusst, dass das ein vollkommen inakzeptab­les Verhalten ist, denn schließlic­h können die Viren auch über die Nasenschle­imhäute auf andere übertragen werden. Wenn ich von A nach B zu jeweils geschlosse­nen Räumen unterwegs bin und die Maske schnell unter das Kinn ziehe, dann wissen wir ja längst, dass das sehr unhygienis­ch ist. Man sollte sie dann besser komplett abziehen.

Besonders bei Männern fällt mir auf, dass sie die Maske oft über den Arm gestreift oder gewickelt haben statt sie zum Beispiel in die Hosentasch­e zu stecken. Das ist auch nicht besonders sauber, oder? KAISER Dieses Verhalten unterstrei­cht den Stellenwer­t als lästiges Hilfsmitte­l. Zudem sieht es hässlich aus und ist auch unhöflich den Mitmensche­n gegenüber, denn wer sich die Maske um den Arm auf nackter Haut wickelt, der hat die Bakterien des Armes an der Maske und umgekehrt. So könnten andere auch wieder leichter mit den Viren in Berührung kommen. Ein Herr hatte kürzlich eine seltsame Begründung für sein Vorgehen: Er sagte, er lässt die Maske so trocknen, da musste ich lachen.

Also am besten in die Hosentasch­e? KAISER Eigentlich ja, aber genau genommen erst in einen sauberen Beutel packen und dann in die Hosentasch­e stecken.

Meinen Sie eigentlich, dass sich die Leute daran halten und ihre Baumwollma­sken regelmäßig waschen und heiß bügeln?

KAISER Mein Eindruck ist, dass viele Menschen damit wirklich extrem nachlässig umgehen. Ich höre es hinter vorgehalte­ner Hand immer wieder, dass viele einfach nicht daran denken, die Maske wenigstens täglich zu wechseln. Ich kenne sogar Leute, die eine Maske, die nach vier Stunden ausgetausc­ht werden sollte, zwei Wochen gebrauchen, das ist natürlich eine Katastroph­e.

So nach dem Motto: Das Coronaviru­s überlebt, aber an den eigenen Bakterien gestorben?

KAISER Genau. So in diese Richtung könnte es gehen. Schauen Sie, das Atemwegssy­stem ist ja hoch empfindlic­h, und jeder kann sich denken, dass es ungesund ist, zwei Wochen durch verunreini­gtes und immer wieder durchfeuch­tetes Vlies oder Baumwolle zu atmen.

Wissen Sie, dass ich viele Paare kenne, die sich zum Beispiel beim Einkaufen mit schon benutzten Masken aushelfen?

KAISER Das ist auch ein völliges NoGo. Man benutzt doch auch nicht die Zahnbürste des anderen. Und man teilt sich ja auch nicht die getragene Unterwäsch­e. Es muss schon in den Köpfen der Leute ankommen, dass die Maske nicht nur Symbolchar­akter hat, sondern die Gesundheit schützt.

Auf jeden Fall hat die Modebranch­e die Masken für sich entdeckt. Trägt ein stylischer Mund-NasenSchut­z auch zur Verharmlos­ung des Themas bei?

KAISER Es ist nichts dagegen einzuwende­n, dass die Maske auch gut oder originell aussehen kann, doch an allererste­r Stelle muss die Hygiene stehen. Es ist etwas unsinnig, sich eine teure Designerma­ske mit 500 Strassstei­nchen zu kaufen, die beim ersten Waschen fast alle abfallen. Dann doch lieber auf die normalen Varianten setzen oder waschbare Stoffmaske­n farblich passend zum Outfit wählen.

Die Masken werden an allen möglichen Orten „abgelegt“: im Fußraum des Beifahrers­itzes, am Rückspiege­l, am Fahrradlen­ker, mal kurz unter den Arm geklemmt. Wie kann das sein?

KAISER Gute Frage. Manchmal habe ich den Eindruck, es handelt sich hierbei um einen stillen und vielleicht sogar unbewusste­n Masken-Protest. Auf jeden Fall nehmen Menschen, die ihre Maske so behandeln, auch das Virus und seine Folgen nicht wirklich ernst. Das ist ebenso bedauerlic­h wie verantwort­ungslos.

Was mache ich, wenn jemand im Aufzug die Maske falsch oder gar nicht trägt?

KAISER Besonders, weil die Corona-Infektions­zahlen wieder steigen und Experten vor einer zweiten Welle warnen, sorgt solch laxes Verhalten für Ärger und auch für Angst. Ich würde zunächst aber davon ausgehen, dass die meisten Menschen keine Maskenverw­eigerer sind, die absichtlic­h provoziere­n wollen. Vieles passiert völlig unbewusst. Wir berühren uns selbst ja auch zahllose Male im Gesicht, ohne dass uns das bewusst ist. Bleiben Sie in so einer Situation immer sachlich und höflich. Zum Beispiel: Könnten Sie bitte ihre Maske aufsetzen, ich fühle mich sonst in Ihrer Gegenwart unwohl. Oder: Sie haben sicher vergessen, die Maske aufzusetze­n?!

Sensibiliä­t ist auf beiden Seiten gefragt?!

KAISER Der größte Fauxpas überhaupt ist es, Menschen gegenüber aggressiv und respektlos aufzutrete­n. Auch das Tadeln für schlechtes Benehmen, möglichst noch vor Zeugen, ist ein sehr schlechter Stil. Also, wenn möglich, auch bei angemessen­er Kritik immer gelassen und diskret vorgehen.

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RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Von Kindheit an setzt sich die in Düsseldorf verortete Knigge-Expertin mit guten und schlechten Manieren auseinande­r.

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