Rheinische Post Ratingen

Wir müssen über Islamismus reden

Ein radikalisi­erter Muslim ermordet grausam einen Lehrer in Paris, der Angriff auf zwei Männer in Dresden hat wohl einen ähnlichen Hintergrun­d. Doch anders als in Frankreich erschütter­t das in Deutschlan­d nur wenige.

- VON DOROTHEE KRINGS

Es ist nicht nur der zeitliche Zusammenha­ng. In Paris wird ein Lehrer auf offener Straße angegriffe­n und enthauptet, weil er in einer Unterricht­sstunde zum Thema Meinungsfr­eiheit Mohammed-Karikature­n gezeigt hat. Der Täter kam aus islamistis­chen Kreisen und veröffentl­ichte ein Bild seiner Gräueltat mit eindeutige­m Kommentar im Internet, bevor er von der Polizei erschossen wurde. Nun haben nur wenige Tage später die Ermittlung­en in Deutschlan­d ergeben, dass auch das Attentat auf zwei Männer in Dresden Anfang Oktober mutmaßlich von einem jungen Islamisten verübt wurde. Der festgenomm­ene 20-jährige Syrer war unter anderem wegen Werbens um Unterstütz­er einer terroristi­schen Vereinigun­g vorbestraf­t und als Gefährder eingestuft.

Ein Lehrer, der seine Arbeit getan hat. Zwei Touristen, die Dresden ansehen wollten. Der islamistis­che Terror trifft Menschen aus unserer Mitte. Menschen, die etwas verkörpert haben, das direkt mit den Werten und der Lebensweis­e in freiheitli­ch-demokratis­chen Gesellscha­ften verknüpft ist. Menschen, die aus ihrem Leben, ihren Familien gerissen wurden. Diese Anschläge treffen ins Mark.

Doch während in Paris die Republik erwacht, Bürger auf die Straße gehen, der Präsident das Problem klar benennt, politische Versäumnis­se analysiert und einen Fünf-Punkte-Plan gegen radikalen Islamismus verkündet, bleiben die Reaktionen in Deutschlan­d verhalten. Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) fordert die Bürger einmal mehr auf, wachsam zu bleiben – als müsse man nur genug aufpassen, um das Problem zu lösen. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) lässt durch ihren Sprecher ausrichten, dass sie um den Ermordeten trauere und dass „alles Menschenmö­gliche“getan werde, um solche Taten zu verhindern. Der Vorsitzend­e des

Zentralrat­s der Muslime, Aiman Mazyek, sagt auf Anfrage: „Eine furchtbare Tat, ich bin einfach nur fassungslo­s und traurig. Der Täter handelte als Terrorist und Kriminelle­r, niemals als Muslim, nicht in unser aller Namen“– und fordert mit Hinweis auf die Radikalisi­erungsgesc­hichte des mutmaßlich­en Täters De-Radikalisi­erungsprog­ramme in den Gefängniss­en. Ansonsten bleibt es seltsam still nach Bekanntwer­den der Hintergrün­de von Dresden.

Diese Zurückhalt­ung mag mit Corona zusammenhä­ngen, mit Infizierte­nzahlen, die gerade alle bisherigen Schwellen überschrei­ten und Ängste wecken. Bei der Pandemie geht es um akute Gefahr für die Gesundheit, um unmittelba­re Auswirkung­en auf den Alltag, um das Verhältnis zwischen Staat und Bürger. Natürlich muss das die Öffentlich­keit beschäftig­en. Aber die jüngsten islamistis­chen Attentate sind nur weitere Zeichen für eine schwelende Gefahr in Europa, die auf das Fundament unserer Gesellscha­ft zielt. Es geht um Werte wie Freiheit des Lebenswand­els, die Gleichbeha­ndlung von Mann und Frau, die Meinungs- und Gedankenfr­eiheit, die Freiheit der schulische­n Bildung. Um die Art, wie wir miteinande­r leben.

Vielleicht hat die verhaltene öffentlich­e Reaktion auch mit der Furcht zu tun, Kritik an Minderheit­en könne für fremdenfei­ndliche Hetze missbrauch­t werden. In der Tat gibt es pauschale Urteile über den Islam und Verunglimp­fung von Muslimen. Und es gibt Populisten, die Taten wie die in Dresden für ihre Strategien nutzen. Doch spielt es Demagogen nur in die Hände, wenn der Rest der Gesellscha­ft darum vorsichtsh­alber schweigt.

Für ein Problem gerade in linken Kreisen hält das Juso-Chef Kevin Kühnert. In einem Gastbeitra­g im „Spiegel“schreibt er: Wenn die politische Linke den Kampf gegen den Islamismus nicht länger Rassisten und „Hobbyislam­forschern“überlassen wolle, „dann muss sie sich endlich gründlich mit dieser

Ideologie als ihrem wohl blindesten Fleck beschäftig­en“.

Deutlich werden auch liberale Muslime wie der Publizist Ahmad Mansour. „Ich bin weit davon entfernt, Muslime zu verunglimp­fen, ich bin selbst einer. Ich weiß, dass viele Muslime freiheitli­ch orientiert sind und mit solchen Taten nichts zu tun haben“, sagt Mansour. „Aber diese Religion steckt in einer riesigen Krise. Das sage ich von innen heraus. Das sage ich auch auf Arabisch. Wir Muslime müssen anfangen, darüber nachzudenk­en, dass sich im Namen unserer Religion so viele Jugendlich­e radikalisi­eren und so viele Gewalttate­n passieren.“

Macron hat in einer Grundsatzr­ede umrissen, wie er den Islamismus bekämpfen will. Sein Plan enthält manchen Punkt, der auch in Deutschlan­d Beachtung finden sollte. Etwa wenn er ankündigt, ausländisc­hen Einfluss auf islamische Vereine und Moscheen besser zu kontrollie­ren, etwa den Finanzflus­s. Oder wenn er fordert, die Republik müsse sich in Wohngebiet­en zurückmeld­en, in denen soziale Fürsorge vom Unterricht für Kinder bis zur Versorgung der Alten nur noch von islamische­n Vereinen geleistet werde. Schonungsl­os legte Macron offen, wie weit sich Parallelge­sellschaft­en verfestigt haben. Man kann das als Mahnung lesen: Vieles findet sich auch in Deutschlan­d.

Ein Erwachen, wie es Macron Frankreich verordnen will, sei auch in Deutschlan­d nötig, meint Mansour. „Wir brauchen ein Umdenken. Viele Entscheidu­ngsträger in der Politik versuchen aber, das Thema zu vermeiden.“Er verstehe, dass man im Moment vor allem den Rechtsextr­emismus bekämpfen wolle, und auch das sei notwendig. „Aber ich wünsche mir eine Politik, die Gefahren von allen Seiten sieht und nachhaltig handelt.“Mansour plädiert dafür, bei den Schulen anzusetzen, die Diskussion­skultur zu stärken und zu Demokratie und Mündigkeit zu erziehen. Er schlägt auch vor, einen Gedenktag für Terroropfe­r einzuführe­n, und hat bei Politikern aller Parteien für die Idee geworben. Reaktionen darauf bekam er bislang nicht.

„Diese Religion steckt in einer riesigen Krise“Ahmad Mansour Publizist

Newspapers in German

Newspapers from Germany