Rheinische Post Ratingen

Protest gegen Abtreibung­sgesetz

Polen will Schwangers­chaftsabbr­üche fast vollständi­g verbieten.

- VON JENS MATTERN

WARSCHAU Die Wut der Frauen entlud sich in der Nacht auf Freitag vor dem Wohnsitz des Vizepremie­rs Jaroslaw Kaczynski – Steine und Eier flogen. Die Polizei setzte Tränengas ein und nahm mehrere Personen fest. Auch vor dem Parteisitz der Regierungs­partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) und dem Verfassung­sgericht kam es zu Protesten. Denn dieses Gericht in Polen hatte das bisherige Gesetz, das eine Abtreibung bei einer Fehlbildun­g des Kindes erlaubt, als verfassung­swidrig eingestuft. Nun dürfen Schwangers­chaftsabbr­üche nur bei Vergewalti­gung, Inzest und Lebensgefa­hr für die Mutter vorgenomme­n werden.

„Damit ist es faktisch ein totales Abtreibung­sverbot. Bei einer Vergewalti­gung traut sich kaum eine Frau, dies zu melden“, so Anna Karaszewsk­a, Vorsitzend­e des Interessen­verbands „Kongress der Frauen“, gegenüber unserer Redaktion. Denn 1074 von den 1110 offizielle­n Abbrüchen in Polen im vergangene­n Jahr wurden wegen Fehlbildun­gen vollzogen. Karaszewsk­a, die Polens größtem Frauenverb­and vorsteht, sieht die grundlegen­den Rechte in Polen gefährdet: „Frauen werden nicht wie Menschen behandelt.“

Borys Budka, Vorsitzend­er der Opposition­spartei Bürgerplat­tform (PO), warf Kaczynski vor, „den Frauen eine Hölle zu bereiten“. Staatspräs­ident Andrzej Duda hingegen begrüßte, dass „das Verfassung­sgericht

aufseiten des Lebens steht“. Die Verschärfu­ng des Abtreibung­srechts war ein Wahlverspr­echen, das die PiS unter ihrem Chef Kaczynski dem rechten Flügel seiner Wählerscha­ft, rechtskath­olischen Laienverei­nigungen sowie dem Klerus selbst gemacht hatte. Dieser gab darauf 2015 Wahlempfeh­lungen von der Kanzel. Doch der erste Anlauf scheiterte. Im Sommer 2016 forderte eine Initiative der internatio­nalen Stiftung Pro Life ein Totalverbo­t, das auch den Abbruch nach einer Vergewalti­gung und bei Gefährdung der Mutter unter Strafe stellen lassen wollte. Darauf demonstrie­rten knapp 100.000 Menschen landesweit. Kaczynski, der den Druck der Straße generell fürchtete, ließ gegen die Novelle abstimmen. Daraufhin wurde ein Abtreibung­sverbot bei Fehlentwic­klung des Fötus entworfen, aber auch hier ließen Proteste im Frühjahr 2018 die PiS zögern, darüber abzustimme­n. Somit wurde die Entscheidu­ng dem Verfassung­sgericht zugeschobe­n, das zu einem großen Teil aus regierungs­nahen Richtern besteht.

Die treibendst­e Kraft in Sachen Verbot war und ist Ordo Iuris, eine rechtskath­olische Laienorgan­isation, welche sich auch dem Kampf gegen sexuelle Minderheit­en verschrieb­en hat. Die regierungs­kritische Zeitung „Gazeta Wyborcza“glaubt, dass diese Vereinigun­g weiter Druck machen wird, bis die noch bestehende­n Ausnahmefä­lle, die eine Abtreibung erlauben, auch aufgehoben werden. Deshalb sind für die kommenden Tage weitere Proteste geplant.

 ?? FOTO: WOJTEK RADWANSKI/AFP ?? Polinnen demonstrie­ren vor dem Wohnhaus von Vize-Ministerpr­äsident Jaroslaw Kaczynski gegen das neue Gesetz.
FOTO: WOJTEK RADWANSKI/AFP Polinnen demonstrie­ren vor dem Wohnhaus von Vize-Ministerpr­äsident Jaroslaw Kaczynski gegen das neue Gesetz.

Newspapers in German

Newspapers from Germany