„Staatshilfe ist keine Dauerlösung“
Der Wirtschaftsforscher hält Tui nicht für systemrelevant und warnt vor einem Staatseinstieg bei Thyssenkrupp. Für 2021 rechnet er mit mehr als 20.000 Insolvenzen.
Herr Wambach, die Corona-Infektionszahlen steigen dramatisch. Wird die Rezession nun doch schlimmer als zur Finanzkrise 2009? WAMBACH Wir sind mitten in der zweiten Welle der Infektionen. Wir sind aber besser vorbereitet als im Frühjahr. Das gilt für das Gesundheitssystem ebenso wie für die Wirtschaft. Ob die deutsche Wirtschaft unterm Strich 2020 stärker schrumpfen wird als 2009, lässt sich noch nicht sagen.
Wenn die Infektionen nicht unter Kontrolle kommen, droht ein zweiter Lockdown. Was bedeutet das? WAMBACH Schon jetzt erleben wir in Teilen der Wirtschaft einen dramatischen Einbruch, das gilt vor allem für kontaktintensive Dienstleistungsbereiche wie Touristik, Handel, Gastronomie. Hier würden sich die Probleme durch weitere Kontaktbeschränkungen verschärfen. Aber: Diese Bereiche erwirtschaften nicht einmal zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der Export von Maschinen, Chemie, Autos nach China und in die USA läuft dagegen wieder gut.
Manche fürchten, dass es in der zweiten Runde die Banken trifft, wenn ihre Kredite platzen. WAMBACH Die Banken stochern derzeit im Nebel. Sie können – auch wegen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht – noch nicht abschätzen, was aus ihren Krediten wird. Anders als bei der Finanzkrise 2009, die von den Banken ausging, sind sie nun erst in der zweiten Runde betroffen. Allerdings sie sind auch viel besser vorbereitet als 2009: Sie haben mehr Eigenkapital, und die Regulierungsbehörden schauen früher und genauer hin.
Der deutsche Staat hat Milliarden zur Stützung der Wirtschaft auf den Tisch gelegt. Ist das gut? WAMBACH Es ist sinnvoll, dass der Staat über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds Unternehmen mit Liquiditätsengpässen hilft und sie stabilisiert. Auch das Konjunkturprogramm ist grundsätzlich sinnvoll. Beim Einstieg des Staates in Unternehmen muss man dagegen genau hinschauen. Bei der Lufthansa macht er Sinn: Ein Ausscheiden der Fluggesellschaft wäre ein großes Problem für die Infrastruktur in Deutschland.
Tui ist kein Infrastruktur-Unternehmen, dennoch stützt der Staat den Tourismuskonzern.
WAMBACH Tui ist nicht systemrelevant für die Infrastruktur. Wenn es nur darum geht, durch die Krise zu kommen, stehen Tui die Möglichkeiten des Wirtschaftsstabilisierungsfonds offen, wie anderen Unternehmen auch. Eine dauerhafte Unterstützung wäre aber nicht sinnvoll – und mit dem Beihilferecht auch nicht vereinbar. Danach darf der Staat nur helfen, wenn ein Unternehmen Ende 2019 nicht in Schwierigkeiten war und eine Perspektive hat.
Was ist mit Thyssenkrupp? Die Gewerkschaften fordern vehement einen Einstieg des Staates, auch weil die Stahl-Nachfrage wegen der Corona-Krise eingebrochen ist. WAMBACH Thyssenkrupp hatte schon vor der Pandemie Probleme. Hier geht es um Strukturwandel und nicht nur um die Überbrückung eines Engpasses. Staatshilfe ist keine Dauerlösung. Das Beispiel Commerzbank zeigt zudem, wie schwer es für den Staat ist, nach der Krise wieder auszusteigen.
Soll der Staat Thyssenkrupp pleitegehen lassen? Zumal er selbst den grünen Stahl fordert.
WAMBACH Die Entscheidung, aus dem Markt auszutreten oder nicht, trifft das Unternehmen selber, nicht der Staat. Der Staat sollte dafür sorgen, dass die Spielregeln im internationalen Wettbewerb fair sind. Da setzt das Außenwirtschaftsrecht an: Wer in Europa Stahl verkaufen will, darf im Heimatland keine Subventionen kassieren. Das schützt Thysenkrupp vor Billigkonkurrenz aus Fernost, auch wenn Stahl für Kunden dann teurer wird. Und der Staat muss die Stahlindustrie bei der Energiewende mitnehmen.
Das heißt?
WAMBACH Er kann bei Forschung und Entwicklung für grünen Stahl helfen. Und die von der EU geplante Grenzausgleichsabgabe sorgt ebenfalls dafür, dass nicht billiger CO2-intensiver Stahl aus dem Ausland den hoffentlich zukünftig grünen deutschen Stahl verdrängt.
Der Staat hat die Insolvenzantragspflicht noch bis Jahresende ausgesetzt. Was kommt danach? WAMBACH Zu Beginn der Pandemie war das richtig. Doch je länger die Pflicht ausgesetzt bleibt, desto höher werden die Kosten. Banken müssen immer mehr Eigenkapital zurücklegen, weil sie das Insolvenzrisiko ihrer Kreditnehmer nicht einschätzen können. Lieferanten werden zunehmend Vorkasse verlangen, und eine verschleppte Insolvenz schädigt auch Arbeitnehmer. Eine Aussetzung über das Jahresende
hinaus sollte es nicht geben.
Was erwarten Sie an Insolvenzen? WAMBACH Ich erwarte einen kräftigen Anstieg der Insolvenzen. 20.000 pro Jahr waren es früher, im nächsten Jahr dürften es deutlich mehr werden. Viel relevanter werden aber die weiteren Marktaustritte sein – Firmen geben still auf, ohne Insolvenz anzumelden.
Der Staat hat auch das Kurzarbeitergeld ausgeweitet. Wie lange kann das weitergehen?
WAMBACH Das Kurzarbeitergeld ist ein gutes Instrument, das sich schon in der Finanzkrise bewährt hat. Der aktuelle Rückgang der Kurzarbeiterzahlen zeigt auch, dass es nicht überstrapaziert wird. Kurzarbeit ist aber keine Dauerlösung, zumal wir damit das Nicht-Arbeiten subventionieren. Besser wäre es, Arbeit zu subventionieren – also etwa Unternehmen zu helfen, wenn sie ausbilden.
Wer soll die viele Staatshilfe mal bezahlen?
WAMBACH Der Staat hat seine Programme über Schulden finanziert, und das ist mit der Schuldenregel auch zu vereinbaren. Die Schuldenbremse und ihre Katastrophenregel haben sich bewährt.
Trotzdem gibt es Stimmen, die ein Ende der Schuldenbremse fordern. WAMBACH Dafür gibt es keinen Anlass. Deutschland ist, anders als etwa Italien, mit soliden Finanzen in die Krise hinreingegangen und kann sich die aktuellen Schulden auch leisten. Wenn die Wirtschaft wieder wächst und der Staat sich dann diszipliniert, fällt die Schuldenquote auf das zulässige Maß zurück. Das ist doch die Lehre der Corona-Rezession: Gut vorbereitet ist sie zu meistern.