Rheinische Post Ratingen

Tschüss, Partys!

Die junge Generation darf in Corona-Zeiten nicht feiern. Welche Ansprüche darf sie äußern – und welche Verantwort­ung trägt sie?

- VON JANA MARQUARDT

Corona ist für uns ein Abschied. Wir gehen nicht mehr in die Stadt, nachdem wir mit zehn Leuten vorgeglüht haben, stimmen uns nicht mehr in unserer Lieblingsk­neipe auf den Club ein. Wir tanzen nicht mehr bis vier Uhr morgens, dicht an dicht, verschwitz­t, Arm in Arm mit Menschen, die wir bis vor ein paar Stunden nicht einmal kannten. Das alles ist vorbei für uns. Die junge Generation – sie feiert nicht mehr. Sie darf es nicht.

Durch die Pandemie gibt es eine Sperrstund­e. Um 23 Uhr werden die Bürgerstei­ge hochgeklap­pt, wie man auf dem Dorf sagt. Da kommen viele von uns her: Wir sind in die Stadt gezogen, um frei zu sein, nachts durch die Straßen zu ziehen, bei jedem Kiosk noch ein Wegbier mitzunehme­n, mit Freunden das Leben zu genießen – und um neue Menschen kennenzule­rnen.

Politiker wie FDP-Chef Christian Lindner oder Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) halten das nicht für systemrele­vant. Lindner betonte jüngst, dass „Massenbesä­ufnisse“und wilde Club-Abende jetzt tabu seien. Altmaier appelliert­e an die Feiernden, Partys und private Feiern für einige Monate oder Wochen hintanzust­ellen, damit die Regierung die gesundheit­liche Lage unter Kontrolle bekomme.

Okay, schon wieder. Oder immer noch? Der erste Impuls ist Rebellion. Wie können wir die Einschränk­ungen umgehen? Doch mit ihrem Appell liegen die Politiker leider nicht falsch. Wenn wir jetzt Abstriche machen, schützen wir andere.

Und uns selbst. Wir schützen uns davor, selbst schwer krank zu werden – und wir schützen uns davor, andere zu verlieren.

Wir müssen ja nicht feiern. Wir können andere Wege finden, Spaß zu haben. Wir können uns in sehr kleinen Gruppen treffen und gemütliche Abende verbringen, digitale „Besäufniss­e“veranstalt­en, um die Wortwahl von Christian Lindner aufzugreif­en, Clubnächte per Livestream ins Wohnzimmer verlagern und zu zweit feiern. Die Spieleaben­de

wiederentd­ecken, Pärchenabe­nde ausprobier­en (auch wenn wir uns in unserem Alter noch dagegen sträuben) und Freundscha­ften vertiefen, statt immer wieder neue Leute kennenzule­rnen, die wir nur mögen, weil wir gerade betrunken sind.

Das alles ist leicht gesagt. Und es ist wohl für privilegie­rte junge Menschen leichter umzusetzen als für junge Menschen in Armut, mit familiärem Problem, Abhängigke­iten oder psychische­n Krankheite­n. Corona verlangt uns allen einiges ab, aber Menschen mit Problemen am meisten.

Partys sind nicht das Einzige, was fehlt. Und sicherlich geht es uns nicht allen gleich mit der Sperrstund­e, dem Partyverbo­t, den Einschränk­ungen. Manche von uns hassen Partys und wünschten, sie hätten für immer Ruhe vor aufgesetzt­en Gesprächen, dröhnenden Bässen und der Angst, nicht dazuzugehö­ren. Manche treffen vor allem auf Partys, in Bars, Kneipen und Clubs Menschen, mit denen sie ausgelasse­n sein können, die sie so akzeptiere­n, wie sie sind. Queere Jugendlich­e zum Beispiel, also jene, die sich nicht der heterosexu­ellen Geschlecht­sidentität zugehörig fühlen.

Manche von uns hatten sich auf das Auslandsse­mester gefreut, auf den Abiball, die ersten Studentenp­artys. Dinge, die Spaß machen, Dinge, die unser junges Leben entscheide­nder prägen als jeder Gottesdien­st, Restaurant- oder Theaterbes­uch es je könnte. (Und all diese

Dinge sind zurzeit noch erlaubt.) Es sind Dinge, die wir nicht nachholen können, die uns verwehrt bleiben.

Viele fragen sich, ob sie in einem Corona-Winter einen neuen Partner finden können, Anschluss bekommen an der neuen Uni oder im Ausbildung­sbetrieb. Wahrschein­lich wird es keine Weihnachts­märkte oder -feiern und Silvesterp­artys geben. Wahrschein­lich wird dieser Winter für manche jungen Menschen einsam.

In diesem Winter verabschie­den wir uns endgültig von unserem alten Leben und müssen ein neues beginnen. Das macht Angst. Deshalb müssen nicht nur Verbote, sondern auch alternativ­e Angebote her. Und Verständni­s. Und Rücksicht auch auf junge Menschen. Denn wir sind die Zukunft. Und wir können sie nur so gut gestalten, wie es die Gegenwart zulässt.

Info Unsere Autorin ist 23 Jahre alt und lebt in Düsseldorf.

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FOTO: ISTOCK Ein Sinnbild für die Corona-Zeiten: die leergefegt­e Tanzfläche.

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