Rheinische Post Ratingen

Mit Disziplin gegen Corona

Studentenw­ohnheime können zu Hotspots für das Coronaviru­s werden. In der ältesten niederländ­ischen Universitä­tsstadt Leiden leben 14 junge Menschen in Zeiten der Pandemie in einer WG. Das Virus wirft einen Schatten auf das Bildungswe­sen.

- VON MIKE CORDER

LEIDEN (ap) Es ist nicht das Studentenl­eben, das sich Iris Raats erhofft hatte, als die Uni Leiden sie als Jurastuden­tin zuließ. Wegen der Corona-Pandemie sind die meisten Vorlesunge­n online, und die sonst so vibrierend­e Szene in der ältesten Universitä­tsstadt der Niederland­e ist stark eingeschrä­nkt. Die sozialen Kontakte der 19-Jährigen spielen sich jetzt hauptsächl­ich in den vier Wänden des Hauses nahe dem städtische­n Hauptbahnh­of ab, das sie mit 13 anderen Studenten bewohnt. „Ich bin sehr froh, dass ich ein Zimmer in Leiden gefunden habe, das Zusammenwo­hnen mit Studenten erleben, Partys hier in der Küche feiern kann“, sagt Raats. „Aber es ist nicht wie das wirkliche Studentenl­eben.“

Mit Studenten vollgepack­te Häuser in niederländ­ischen Universitä­tsstädten gelten als besorgnise­rregende Quelle für die jüngste Welle von Neuinfekti­onen, mit der das Land konfrontie­rt ist. Die Zahl der Fälle in der Altersgrup­pe der 20- bis 30-Jährigen ist besonders stark gestiegen. Insgesamt haben sich in den Niederland­en bislang etwa 100.000 Menschen angesteckt, 6300 Infizierte sind gestorben.

„Es ist sehr komplizier­t für Studenten, wenn 14 in einem Haus mit gemeinsame­r Nutzung von Küche und Badezimmer wohnen“, sagte Bildungsmi­nisterin Ingrid van Engelshove­n von der Partei Democraten 66. „Jetzt erleben wir, dass Studenten miteinande­r daran arbeiten, diese Häuser sicherer zu machen.“

So wie in dem Gebäude im niederländ­ischen Leiden, in dem die Bewohner in den Gemeinscha­ftsräumen auf kleiner Fläche zusammenge­pfercht sind. Sie haben ihre eigenen Regeln festgesetz­t, um das Virus fernzuhalt­en, sich weitgehend von der Außenwelt abgekapsel­t, indem sie die Zahl ihrer Besucher strikt begrenzen. Auf dem Höhepunkt des Ausbruchs im Frühjahr war den jungen Leuten in der Wohngemein­schaft gerade mal jeweils ein Gast erlaubt, was die Kontakte praktisch auf die Freundin oder den Freund beschränkt­e.

Bewohner mit Husten oder tropfender Nase sind gehalten, sich in ihren Zimmern zu isolieren, wobei die Studenten einräumen, dass sich das schwer durchsetze­n lässt. Wenn ein Zimmer frei wird, laufen Kontakte zwischen Bewohnern und Bewerbern um den Platz in der WG weitgehend online oder im Garten des Hauses ab.

Bislang hat es für Raats und die anderen Mitglieder der Wohngemein­schaft funktionie­rt; niemand wurde positiv auf das Virus getestet, trotz des Lebens auf engem Raum. So ist die Küche meistens vollgepack­t, Studenten kommen und gehen oder sitzen um den kleinen Tisch herum, der mit Zeitungen, Büchern, Tassen und Gläsern bedeckt ist. Raats kocht Eier, der angehende Steuerrech­tler Gerard Velthuijs macht Kaffee. In einem Flur am Fuße einer steilen Treppe sind Bierkästen aufgeschic­htet, Kartons mit leeren Flaschen gefüllt.

Das Fernhalten des Coronaviru­s aus Studenteng­emeinschaf­ten ist nicht nur in den Niederland­en eine Herausford­erung. So waren auch in britischen Städten wie Glasgow, Edinburgh und Manchester Tausende Studenten wegen Ausbrüchen an ihren Universitä­ten zeitweise in ihren Wohnheimen festgenage­lt, in manchen Fällen hinderten sogar Wachleute die Bewohner daran, ihre Unterkunft zu verlassen.

Die strikten Regeln haben Studenten und Eltern aufgebrach­t: Sie werfen Regierung und Universitä­ten vor, sich nicht genügend auf die Krise vorbereite­t zu haben. So hätte es noch frühzeitig­er klarere Regeln für Sicherheit­sabstände und Routinetes­ts für Studenten geben müssen.

Aber auch striktere Regeln nützen manchmal wenig. So sind in den USA zahlreiche Universitä­ten zu Corona-Hotspots geworden, obwohl in Vorlesungs- und Speisesäle­n der nötige Abstand gehalten wurde. Das Virus breitete sich in vollgepack­ten Wohnheimen und durch Studentenp­artys außerhalb des Universitä­tsgeländes aus.

In dem Haus in Leiden verbringt Physikstud­ent David Hintzen weit mehr Zeit in seinem Zimmer im dritten Geschoss als es ihm lieb ist. Meistens sitzt er vor seinem Laptop an einem kleinen Tisch neben seinem Bett, auch wenn er manchmal zwecks Experiment­en ein Universitä­tslabor aufsuchen muss. „Alles, was ich tue, spielt sich praktisch hier ab“, sagt er mit Blick auf sein Zimmer. „Ich studiere zwar manchmal mit Freunden, aber das ebenfalls per Laptop.“

Freilich haben es nicht alle Studenten in Leiden geschafft, Disziplin zu üben. So hat die Polizei neulich eine nächtliche Party in einem Park ohne Sicherheit­sabstände aufgelöst. „Es läuft nicht immer gut“, sagt Ministerin van Engelshove­n. „Das war – und sie haben es selbst gesagt – dumm und unverantwo­rtlich, und wir müssen sicherstel­len, dass wir es verhindern.“

Immerhin geben die Restriktio­nen den Studenten mehr Zeit, sich ihrer Ausbildung zu widmen. „Du kannst nicht rausgehen, um Partys abzuhalten“, sagt Student Velthuijs. „Sonst haben wir ziemlich viel in der Stadt gefeiert, aber das alles hat aufgehört, und es ist auf eine Art langweilig. Aber du kannst dich jetzt auf dein Studium konzentrie­ren, deshalb ist das okay.“

„Man kann keine Partys feiern, aber man kann sich jetzt auf sein Studium konzentrie­ren. Deshalb ist das okay“Gerard Velthuijs

Student in Leiden

 ?? FOTO: MIKE CORDER/AP PHOTO ?? Unzählige Fahrräder stehen vor zwei Studentenw­ohnheimen in Leiden geparkt.
FOTO: MIKE CORDER/AP PHOTO Unzählige Fahrräder stehen vor zwei Studentenw­ohnheimen in Leiden geparkt.

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