Rheinische Post Ratingen

Was erlauben Profi-Fußball?

- VON TOBIAS JOCHHEIM

Wenn ein Kita- oder Schulkind mit dem Coronaviru­s infiziert ist, wird das ganz große Besteck rausgeholt, je nach Lage vor Ort bis hin zur 14-tägigen Quarantäne für die ganze Klasse. Wenn vor dem Anpfiff eines mittelwich­tigen Fußballspi­els ein Spieler und zwei Co-Trainer positiv getestet werden, geschieht: nicht viel. Die Zweitligap­artie Hamburg gegen Würzburg am Samstag fand statt wie geplant. (Dass sich die ganze Sache später als Fehlalarm erwies, konnte noch keiner wissen.) Beim Revierderb­y am Samstag in Dortmund waren 300 Zuschauer dabei, obwohl es nach dem Willen der Landesregi­erung gar keine mehr hätten sein sollen. Bei Union Berlin waren es sogar 4500.

Nun mag man einwenden, dass es im Fall Hamburg gegen Würzburg Schnelltes­ts für alle Spieler und Trainer gab und dass bei Union und beim BVB ja auch die örtlichen Gesundheit­sämter beteiligt waren. Dennoch zeigt sich daran die Prioritäte­nsetzung in unserem Land. König Fußball regiert, Kinder und Kultur interessie­ren nicht wirklich.

Amateurfuß­ball übrigens auch nicht. Der niedersäch­sische Kreisligis­t SG Ripdorf/Molzen II verlor neulich mit 0:37 gegen den SV Holdensted­t II. Nach einem Corona-Fall hatten die Spieler Angst, sich anzustecke­n – und hielten auf dem Platz Abstand. Der ernste Hintergrun­d: Eine Verlegung des Spiels war gescheiter­t; ein kompletter Boykott kam für Ripdorf nicht infrage: Dem Verein geht es finanziell so schlecht, dass er keine Geldstrafe riskieren konnte.

Dieses Problem ist auch vielen erstklassi­gen Klubs anderer Diszipline­n bekannt; die Kölner Haie etwa stehen vor der Insolvenz, als eines von sechs der 14 Top-Teams im Eishockey. Mangels Zuschauern fehlen ihnen rund 80 Prozent der Einnahmen – denn im TV dominiert bekanntlic­h König Fußball. Weshalb auch immer. Der FC Bayern holte die letzten acht Meistersch­aften in Folge und fünf Pokalsiege dazu. Selbst der zweite Platz ist quasi reserviert: Dortmund wurde fünf Mal Zweiter und stand vier Mal im Pokalfinal­e. Angesichts dieses Duopols kritisiert Sportjourn­alist Arnd Zeigler, die Bundesliga sei zu einer Simulation verkommen – und zwar einer Wirtschaft­ssimulatio­n.

Der Fehler liegt im System: Fifa und Uefa, DFL und DFB verteilen ihre Milliarden systematis­ch von unten nach oben um. Die Klubs geben deshalb weiter munter Millionen für neue Spieler aus – und entblöden sich nicht, mit Verweis auf Corona das Maskottche­n (FC Arsenal) oder gar die Busfahrer (Schalke 04) zu feuern.

Dass das nicht alternativ­los ist, beweisen ausgerechn­et die großen US-Sportligen. Dort bewahren komplexe Regelwerke die Wettbewerb­sgleichhei­t: Größere Teams finanziere­n kleinere mit, die schlechtes­ten Mannschaft­en bekommen Vorrang bei der Verpflicht­ung der besten Talente. Was sozialisti­sch anmutet, dient dem Gegenteil: Dass Konkurrenz das Geschäft belebt, gilt auch im Sport. Innerhalb der Ligen funktionie­rt das; darunter gibt es praktisch nichts.

Anders im einzigarti­gen Ökosystem der deutschen Dorfverein­e, die charmanter­weise je nach Disziplin oft auch Bundesligi­sten stellen – im Handball etwa Balingen-Weilstette­n und Nordhorn-Lingen, im Basketball Crailsheim und Vechta, im Tischtenni­s Bergneusta­dt und Grünwetter­sbach. Doch dieses Vereinssys­tem gerät in immer größere Gefahr: Ganztagssc­hulen und soziale Medien rauben dem Nachwuchs die Zeit, das Berufslebe­n frisst Trainer und Schiedsric­hter auf. Obendrauf kommt nun Corona, das die Einnahmen radikal schrumpft. Die Einschnitt­e sind bei den Kleinsten am größten.

Um den Amateurfuß­ball muss man sich dabei noch am wenigsten sorgen. Noch immer sind 7,2 Millionen Menschen in mehr als 24.000 Vereinen gemeldet, die 145.000 Mannschaft­en stellen. Woche für Woche messen sich

Unser System der Dorfverein­e, die Erstligist­en sein können, ist weltweit einzigarti­g

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