Rheinische Post Ratingen

Falsche Arznei gegen Konsumdepr­essionen

- VON ANTJE HÖNING

Mit der steigenden Zahl an Corona-Infektione­n wächst überall der Handlungsd­ruck. Seit Langem ist klar, dass im Winter die Belüftung der Klassen eine Herausford­erung wird. Warum hat Schulminis­terin Gebauer eigentlich die Zeit nicht genutzt, um mit den für die Gebäude verantwort­lichen Kommunen ein Konzept zur Belüftung und Anschaffun­g von Geräten auf den Weg zu bringen? Stattdesse­n wird über Vorquarant­änen zu Weihnachte­n diskutiert. Lasst die Kinder in den Schulen! Gerade Kinder aus bildungsfe­rnen Schichten gehen sonst verloren.

In der Wirtschaft­spolitik muss dagegen Übereifer gestoppt werden. Der Handelsver­band HDE fordert, dass der Staat die Senkung der Mehrwertst­euer über das Jahresende hinaus verlängern soll. In der Tat hat der Lockdown im Frühjahr den Einzelhand­el nachhaltig getroffen. Doch eine dauerhafte Mehrwertst­euerSenkun­g ist die falsche Arznei gegen Konsumdepr­essionen. Zum einen, weil die Streuverlu­ste hoch sind: Nicht nur der Jeansladen um die Ecke profitiert, sondern auch die Amazons der Welt, die ohnehin zu den Gewinnern der Pandemie gehören. Zum anderen, weil die Senkung zu gering ist, um einen Kaufrausch auszulösen, wie der Handel selbst bereits feststelle­n konnte. Den Kauf eines Möbelstück­s haben Verbrauche­r vielleicht vorgezogen, doch mehr T-Shirts werden sie nicht kaufen. Der Einsatz von 20 Milliarden Euro, die dem Fiskus schon jetzt entgehen, verpufft einfach.

Darum ist die Forderung des HDE auch reichlich einfallslo­s. Kurzfristi­g wäre den Händlern viel mehr geholfen, wenn der Staat bei den Verlustvor­trägen großzügige­r ist und so die direkte Steuerlast der Betriebe senkt. Mittelfris­tig müssen Handel und Politik sich ohnehin etwas für die Innenstädt­e überlegen. Deren Niedergang halten auch 20 Milliarden Euro nicht auf.

BERICHT STREIT UM MEHRWERTST­EUERSENKUN­G. TITELSEITE

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