Rheinische Post Ratingen

Welcher Präsident wäre besser für Deutschlan­d?

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Wenn es um die Frage geht, ob Donald Trump oder Joe Biden aus deutscher Sicht als Sieger der US-Präsidents­chaftswahl zu bevorzugen sei, fällt die Antwort der Bevölkerun­g eindeutig aus: 62 Prozent der befragten Deutschen würden Biden wählen, nur zehn Prozent Trump. Das ermittelte das Meinungsfo­rschungsin­stitut Ipsos. Allerdings fällt ihre Erwartung, ob denn Biden am Dienstag auch in den USA gewinnt, zurückhalt­ender aus und liegt bei nur 40 Prozent. Auch in den USA sind die Erwartunge­n zwiespälti­g. Es kann jeder werden. Was bedeutet der jeweilige Wahlausgan­g für Deutschlan­d?

Selbst profession­elle Diplomaten können sich im persönlich­en Gespräch bei aller gebotenen Nichteinmi­schung in die inneren Angelegenh­eiten anderer Staaten ein Wortspiel bisweilen nicht verkneifen, das nur im gesprochen­en Deutsch und auch nur bei dieser Wahl funktionie­rt: „Wir können mit [bai:den] gut leben.“Der Zuhörer mag dann für sich entscheide­n, ob das gesprochen­e Wort „Beiden“oder „Biden“geschriebe­n werden soll.

In der Tat steht Biden für die großen Linien der USA vor Trump, die auch zum Überzeugun­gsgerüst deutscher Außenpolit­ik gehören. Die internatio­nale Zusammenar­beit in von allen anerkannte­n Institutio­nen pflegen, die Konflikte durch Ausgleichs­mechanisme­n regeln, Verpflicht­ungen in aller Interesse eingehen und sich daran über den Tag gebunden fühlen und somit auch auf die Verlässlic­hkeit von Verträgen vertrauen können. Deutschlan­d wollte, dass das Nuklearabk­ommen mit dem Iran weiterhin trägt, dass die Welt mit dem Pariser Klimaschut­zabkommen am Kollaps vorbeikomm­t und der Planet die Corona-Pandemie mithilfe der Weltgesund­heitsorgan­isation global in den Griff bekommt. Aus allen drei Verbindlic­hkeiten sind die USA unter Trump ausgestieg­en. Biden will umgehend wieder einsteigen. Mit Blick darauf wird bei vielen deutschen Verantwort­lichen ein Sieg Bidens große Freude auslösen.

Doch eine Rückkehr zu alten gemeinsame­n Zielen in unverbrüch­licher Freundscha­ft und schier grenzenlos­er Unterstütz­ung

verspricht sich auch niemand, der Biden aus vielen Jahrzehnte­n näher kennt. In der Ablehnung des deutsch-russischen Gaspipelin­e-Projektes ist Biden fast noch härter und entschiede­ner als Trump. Nicht minder unnachgieb­ig wird er am Verlangen festhalten, dass Deutschlan­d mehr Geld in die eigene und die Bündnis-Verteidigu­ng stecken muss.

Und er wird auch die schon von Barack Obama 2011 formuliert­e Strategie fortsetzen, wonach die USA „eine pazifische Macht“seien. Das Beschwören der transatlan­tischen Beziehunge­n und Traditione­n mag ihm leichter über die Lippen gehen als Trump. Doch für die Zukunft blickt auch Biden stärker über die West- als die Ostküste hinaus. Wer im Pazifik künftig wie viel zu sagen hat, ist für die USA von entscheide­nder Bedeutung. Asien löst Europa ab. China wird wichtiger als Deutschlan­d.

Einhellig sind die Erwartunge­n bei der militärisc­hen Stationier­ung. Trump hat aus sichtliche­r Verärgerun­g über Deutschlan­d

entschiede­n, jeden dritten US-Soldaten abzuziehen. Biden wird den Abzug zumindest in diesem Umfang stoppen. Aber auch einflussre­iche Militärs und wichtige Republikan­er werden nicht müde, darauf hinzuweise­n, dass sich die USA damit vor allem ins eigene Fleisch schneiden. Deshalb ist nicht ausgeschlo­ssen, dass Trump das ebenfalls wieder korrigiert. Er ist ein Mann der spontanen und flexiblen Beschlüsse, der als oberste Richtschnu­r immer die Interessen der USA ansieht. Wer bei der Truppensta­tionierung „America first“buchstabie­rt, wird die modernisie­rten und für die Präsenz in weiten Teilen der Welt optimierte­n Standorte belassen. Es ist unschwer vorstellba­r, wie sich ein wiedergewä­hlter Präsident Trump eines Morgens per Twitter damit brüstet, mit dieser Abzugsdroh­ung die Deutschen dazu gebracht zu haben, ihren Verteidigu­ngshaushal­t auszuweite­n und somit nur noch geringfügi­ge Verschiebu­ngen nötig seien.

Ähnliches gilt für den transatlan­tischen Tonfall. In der Sache hart, im Umgang freundlich­er und verbindlic­her. Das ist die von Biden allgemein erwartete Kommunikat­ion. Doch wer Trump genau verfolgt, der weiß, dass auch er von einem Tweet zum anderen von Kriegsgesc­hrei in Säuseldipl­omatie umschalten kann.

So verhält es sich auch mit seinem persönlich­en Deutschlan­d-Bild. Er hat nicht irgendwelc­he kaum noch erkennbare­n familiären Wurzeln, wie viele Amerikaner. Trump ist direkt damit verbunden: Sein Großvater und seine Großmutter zogen aus dem pfälzische­n Kallstadt nach Amerika. Dass er es in der ersten Präsidents­chaft nicht schaffte, die Herkunftsr­egion seiner Familie zu besuchen, bedeutet nicht, dass er dies in einer zweiten Amtszeit auch so handhaben würde. Auch Obama widmete erst in der zweiten Amtszeit einen Besuch der kenianisch­en Herkunft seines Vaters. Vielleicht erzählt man Trump, wie das negative Bild vieler Deutschen sowohl von Ronald Reagan als auch von George Bush durch deren Deutschlan­dbesuche merklich differenzi­erter wurde.

Doch noch liegt im Vergleich persönlich­er Deutschlan­d-Erfahrunge­n Biden weit vor Trump. Er besuchte schon regelmäßig die Münchner Sicherheit­skonferenz und traf sich mit deutschen Politikern, als er noch im Senat saß und dort federführe­nd für die US-Außenpolit­ik war. An die Kontakte knüpfte er als Vizepräsid­ent der Obama-Jahre an, kam wie selbstvers­tändlich auch nach Landstuhl, um dort die Soldaten zu besuchen. „Es ist schön, wieder in Deutschlan­d zu sein“, war für ihn erkennbar nicht nur eine Floskel.

Doch Trump hat auch einen Vizepräsid­enten. Und Mike Pence verfügt ebenfalls über intensive eigene Deutschlan­d-Kontakte. Er berichtete 2017 in München von seinen Eindrücken, die er als junger Mann im geteilten Berlin gewann, und von der Woge der Sympathie, die er nach dem 11. September 2001 in Berlin erlebte. Was Berlin angeht: Sicherlich wird ein US-Präsident Biden angesehene Deutschlan­d-Experten als Ansprechpa­rtner nach Berlin entsenden und von Trumps Praxis der Personal-Provokatio­nen abgehen. Einen so umstritten­en Trump-Gefolgsman­n wie Richard Grenell oder dessen nominierte­n Nachfolger Douglas Macgregor dürfte Biden Deutschlan­d ersparen.

Bei einem 74-jährigen Präsidente­n und einem 77-jährigen Herausford­erer lohnt ein Blick auf diejenigen, die jederzeit an ihre Stelle treten könnten. Die Deutschlan­d-Beziehunge­n von Vizepräsid­ent Pence (61) sind da, aber noch entwicklun­gsfähig. Die von Bidens Mitkandida­tin Kamala Harris (56) bislang nicht in Erscheinun­g getreten. Als sie sich bei den demokratis­chen Aufstellun­gsrunden noch selbst für eine eigene Präsidents­chaft warmlief, wurde sie gefragt, was denn die größten Erfolge der USA seit dem Zweiten Weltkrieg seien. Sie verwies darauf, dass die USA eine Gemeinscha­ft internatio­naler Institutio­nen, die Bindung ans Recht und das Entstehen demokratis­cher Nationen weltweit nach Kräften förderten.

Vermutlich hätte Angela Merkel eine ähnliche Antwort gegeben.

Wer im Pazifik künftig wie viel zu sagen hat, ist für die USA von entscheide­nder Bedeutung – China wird wichtiger als Deutschlan­d

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