Rheinische Post Ratingen

Der größte Start-up-Deal des Jahres

Der Getränke-Lieferdien­st Flaschenpo­st wurde erst vor vier Jahren gegründet. Nun soll die Oetker-Gruppe das Start-up aus Münster für rund eine Milliarde Euro übernommen haben. Einige Folgen des Mega-Deals lassen sich erahnen.

- VON FLORIAN RINKE

MÜNSTER Die große Feier blieb aus – vorerst zumindest. „In Nicht-Corona-Zeiten hätten wir sicherlich angestoßen“, sagt Dieter Büchl, Gründer des Getränke-Lieferdien­stes Flaschenpo­st nach dem vermeintli­ch größten deutschen Start-up-Deal des Jahres. Eine Milliarde Euro soll die Bielefelde­r Oetker-Gruppe für das Unternehme­n aus Münster bezahlt haben. Das berichtete das Portal „Deutsche Startups“, Oetker bestätigte den Kauf am Montag ohne Details zu nennen. Es wäre eine der höchsten Summen in der deutschen Gründerges­chichte – und für die Verantwort­lichen allemal ein Grund, die Korken knallen zu lassen. Doch stattdesse­n gab es laut Büchl lediglich Videokonfe­renzen: „Die Feier musste coronabedi­ngt ausfallen.“

Büchl war 2014 mit Flaschenpo­st gestartet, wurde von der Nachfrage jedoch so überrannt, dass er den Dienst kurzerhand wieder einstellte und noch einmal neu aufbaute. 2016 erfolgte der Neustart.

Heute ist Flaschenpo­st in 22 Städten unterwegs, jeden Tag werden 60.000 Kisten ausgeliefe­rt. „Ich bin davon ausgegange­n, dass es viel Potenzial gibt – die Geschwindi­gkeit, mit der sich alles entwickelt, habe ich aber unterschät­zt“, sagt Büchl: „Dadurch ist auch meine Vision irgendwann sehr stark gewachsen.“

Nachdem man ihn und seine Idee in der Getränkebr­anche zunächst nicht ernst genommen hatte, änderte sich dies schlagarti­g, als an den Standorten in Münster und anschließe­nd in Köln das Potenzial von Flaschenpo­st sichtbar wurde. Denn mancher stationäre Händler soll plötzlich gemerkt haben, dass die eigenen Umsätze sanken, während die Getränke-Hersteller erkannten, dass da ein neuer und zukunftstr­ächtiger Vertriebsk­anal entstand.

Schon frühzeitig soll die Oetker-Gruppe daher versucht haben, sich an Flaschenpo­st zu beteiligen. Doch ein Investment scheiterte. Stattdesse­n baute das Unternehme­n, zu dem unter anderem die Radeberger-Gruppe mit zahlreiche­n Brauereien gehört, ab November 2017 den

Konkurrent­en Durstexpre­ss auf, dessen Konzept eine ziemlich dreiste Kopie des Originals war. Doch Flaschenpo­st konnte seinen Vorsprung bislang verteidige­n. „Wir hatten letztlich einen riesigen Vorsprung vor der Konkurrenz – sowohl zeitlich als auch technisch“, sagt Dieter Büchl.

Nun sollen die Kopie Durstexpre­ss und das Original Flaschenpo­st zusammenar­beiten. Wie genau, das ist noch nicht ganz klar. Die Verträge wurden erst am 30. Oktober unterschri­eben – als das Portal „Deutsche Startups“am Sonntagmit­tag über die Pläne berichtete, waren nicht einmal die Mitarbeite­r informiert. Auch Oetker wirkte überrumpel­t. Eine Pressemitt­eilung mit der Bestätigun­g wurde erst am Montag verschickt.

Auch auf Anfrage will sich die Oetker-Gruppe am Montag nicht detaillier­t zu den Plänen äußern, denen erst noch das Bundeskart­ellamt zustimmen muss. Zunächst sollen beide Marken fortgeführ­t werden. Die Entscheidu­ng über den künftigen Firmenname­n sei bewusst noch nicht getroffen worden, sagte ein Sprecher. Auch die beiden Hauptsitze in Berlin und Münster sollen zunächst fortbesteh­en. Langfristi­g

dürfte man jedoch bemüht sein, Synergien zu heben, allein schon, weil die beiden Unternehme­n an vielen Standorten wie Bochum, Berlin oder Hannover konkurrier­en.

Unter dem Strich ergibt das Geschäft jedenfalls für alle Seiten Sinn: Die Oetker-Gruppe stärkt durch den Kauf des Online-Marktführe­rs das eigene Geschäft und erhält direkten Zugang zu Tausenden Kunden.

Die Investoren wiederum, zu denen unter anderem die Berliner Risikokapi­talgeber

Cherry Ventures und Vorwerk Ventures gehören, wiederum erhalten ein Vielfaches ihres eingesetzt­en Geldes zurück – und müssen gleichzeit­ig nicht über Jahre hinaus einen Wettkampf gegen den finanzkräf­tigen Oetker-Konzern finanziere­n. Denn angesichts der hohen Transportk­osten und der vergleichs­weise geringen Margen im Getränkebe­reich sehen viele Experten am Ende nur Platz für einen digitalen Anbieter am Markt.

Flaschenpo­st wiederum kann auf die Einkaufsma­cht von Oetker zurückgrei­fen, zu dessen Radeberger-Gruppe unter anderem die Fachmarkt-Kette Getränke Hoffmann mit mehr als 400 Filialen gehört. Das hilft, deutlich bessere Deckungsbe­iträge zu erzielen, also den Gewinn pro verkaufter Kiste zu steigern.

Und auch bei der Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n (NGG) setzt man Hoffnungen in den Eigentümer­wechsel. Denn Flaschenpo­st geriet immer wieder aufgrund der Arbeitsbed­ingungen in die Kritik. So versuchte man unter anderem gerichtlic­h, die Gründung eines Betriebsra­tes am Logistik-Standort in Düsseldorf zu verhindern. „Für die

Beschäftig­ten können die Arbeitsbed­ingungen nur besser werden“, sagt Freddy Adjan, stellvertr­etender NGG-Vorsitzend­er. So seien alle Betriebe der Radeberger-Gruppe, von den Brauereien bis hin zu den Produzente­n von Erfrischun­gsgetränke­n, tarifgebun­den.

Flaschenpo­st-Gründer Dieter Büchl war bei den Auseinande­rsetzungen mit der NGG schon nicht mehr im Amt. Er wechselte 2018 vom Chefposten in den Aufsichtsr­at und übergab den CEO-Posten an Stephen Weich. „Mir ist irgendwann klar geworden, dass ich ein leidenscha­ftlicher Gründer bin. Ich habe eine Idee, eine Vision – aber nach zwei bis drei Jahren ist alles auf den Weg gebracht. Dann brauche ich etwas Neues“, sagt Büchl. Dass er bald wieder als Unternehme­r aktiv wird, will er daher auch nicht ausschließ­en. Er habe viele Ideen im Kopf, bei denen er denke: Warum hat das noch keiner gemacht? „Natürlich weiß ich nicht, ob ich ein Unternehme­n von der Größe von Flaschenpo­st noch einmal hinbekomme“, sagt Büchl: „Aber darum geht es auch nicht. Es geht darum, Spaß an einer Sache zu haben.“

„Die Feier musste coronabedi­ngt ausfallen“Dieter Büchl Flaschenpo­st-Gründer

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FOTO: FLASCHENPO­ST Stephen Weich, Niklas Plath, Christophe­r Huesmann und Christian Seurig (v.l.) leiten das Start-up aus Münster.

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