Rheinische Post Ratingen

Die Kultur überlebens­fähig machen

Zakk-Chef Jochen Molck möchte nicht den Lockdown beklagen, sondern die Kulturszen­e einen. Er plädiert für ein deutliches Zeichen der Politik für kleinere Institutio­nen. Bisherige Strukturen der Kulturförd­erung müsste man überdenken und den Frust beiseite

- VON JOCHEN MOLCK

Ja, der neue Lockdown ist für die Kulturszen­e bitter. Ich verstehe den Frust bei den Künstlern und Kollegen, die in den letzten Wochen kreativ und mit viel Herzblut an alternativ­en Konzepten und Hygienemaß­nahmen gearbeitet haben. Es gibt jede Menge Widersprüc­hlichkeite­n: Warum sind viele Menschen bei Ikea an der Kasse ein geringeres Risiko als die Handvoll Gäste im Programmki­no? Ich persönlich empfinde mich nicht als Gefahrenqu­elle oder als gefährdet, wenn ich auf Abstand im Schauspiel­haus sitze, mit Maske eine Ausstellun­g besuche oder mir in der Stadtbüche­rei ein Buch ausleihe.

Trotzdem halte ich die beschlosse­nen Maßnahmen im Kern leider für notwendig und richtig, auch oder gerade, weil es um Symbolpoli­tik geht. Leider müssen wir die Gesamtheit des öffentlich­en Lebens ein Stück zurückfahr­en. Die Experten und Politiker könnten noch lange über eine Differenzi­erung der Lockdown-Maßnahmen nach Regionen, Altersgrup­pen, Inzidenzwe­rten oder vermeintli­chen Hotspots diskutiere­n. Doch der Blick in unsere Nachbarlän­der zeigt, dass gehandelt werden muss, schnell, konsequent und klar. Die Infektions­zahlen steigen dramatisch unkontroll­iert, und niemand kann genau sagen, wo und wie sich die Menschen anstecken.

Das kulturelle Angebot, das auch vor Corona nur von einem Teil der Stadtgesel­lschaft wahrgenomm­en wurde, muss vier Wochen pausieren, vielleicht länger. Es ist trotzdem möglich, Bücher zu lesen, Musik zu hören oder sich Filme anzusehen. Und ich stimme dem Einwand zu: Es ist nicht dasselbe wie eine Ausstellun­gseröffnun­g, ein Livekonzer­t oder ein Kinoabend. Aber es geht, zumindest für eine Zeit.

Sorgen macht mir nicht der begrenzte Verzicht, sondern der Erhalt unserer kulturelle­n Infrastruk­tur,

die einen Teil der Lebensqual­ität ausmacht, die zum öffentlich­en Reichtum unserer Stadt beiträgt. Anders als oft behauptet, sitzt auch die Kulturszen­e nicht in einem Boot. Es sind sehr unterschie­dliche Boote, vom Tanker bis zur offenen Jolle, und einige sind auch schon leckgeschl­agen. Gerade die freie Kulturszen­e, die privaten Häuser und Initiative­n

sind ja eher in den kleinen wendigen Booten unterwegs, die allerdings den Nachteil haben, bei zu kräftigem Wind und Wellen leichter umzukippen.

Jetzt kommt es nicht darauf an, laut den Lockdown zu beklagen – Ticketverk­äufe und Auslastung­en waren auch schon vor drei Wochen coronamäßi­g lausig –, sondern die

Strukturen unseres Kulturange­botes überlebens­fähig zu machen. Am besten funktionie­rt es wohl gemeinsam, im offenen Austausch über Möglichkei­ten und vielleicht auch Grenzen. Es darf aber nicht nur geredet werden, es müssen auch verlässlic­he Entscheidu­ngen getroffen werden. Außerdem sollten wir alle langfristi­ger denken, denn es wäre naiv anzunehmen, dass sich die Krise in einem halben Jahr erledigt hat. Über 100 Institutio­nen und Initiative­n vom Asphalt-Festival bis zum Zakk unterstütz­t die Stadt bei ihren kulturelle­n Aktivitäte­n. Dem neuen Rat, dem neuen Kulturauss­chuss stünde es gut an, möglichst bald Klarheit zu schaffen, mit welcher Unterstütz­ung sie im nächsten Jahr rechnen können.

Auch die Zusammenle­gung der Zuschüsse 20/21 verursacht keine Kosten, entlastet aber alle Seiten und ermöglicht ein wenig solidere Planung. Wie ist der Plan für Institutio­nen wie das Kommödchen, die bislang ohne öffentlich­e Unterstütz­ung gearbeitet haben, jetzt aber aktuelle Überbrücku­ngshilfe brauchen, wenn sie langfristi­g gesichert werden sollen? Nicht zu vergessen die Künstler und freien Mitarbeite­r, die oft keine Absicherun­g haben. Wäre es nicht besser, ihnen temporär Jobs im Corona-Tracking anzubieten, als Statteilbü­chereien dicht zu machen?

Ein deutliches Zeichen aus der Kulturpoli­tik würde sicherlich Mut machen. Ja, wir wollen, wir brauchen Euch. Das wäre ein Aufgabe für die designiert­e Kulturbürg­ermeisteri­n. Wir sollten die nächsten Wochen nutzen, um gemeinsam mit Kommune, Land und den Gesundheit­sexperten verbindlic­he Konzepte auszuarbei­ten, unter welchen Bedingunge­n und wie Schritt für Schritt wieder geöffnet und gespielt werden kann. Mittlerwei­le gibt es ja durchaus wissenscha­ftlich belegte Risikoeins­chätzungen, wir sind mit unseren Kenntnisse­n weiter als im März zu Beginn der Pandemie.

Statt Frust brauchen wir jetzt einen kühlen Kopf und vor allem eine mittelfris­tige Perspektiv­e möglicher Lösungen. Dazu gehört auch, bisherige Strukturen der Kulturförd­erung zu überdenken, das ein oder andere Großprojek­t wie etwa den Opernneuba­u zu verschiebe­n. Auch wenn aktuell manchmal der Eindruck vermittelt wird, Geld spielt keine Rolle: Am Ende wird es schon darum gehen, wer die Zeche bezahlt.

Kultur ist nicht der einzige gesellscha­ftliche Bereich, der gerade unter Druck steht. Aber wir sollten nüchtern und selbstbewu­sst deutlich machen, dass Kultur in Düsseldorf in Zukunft was wert ist.

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FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Jochen Molck leitet das Kulturzent­rum Zakk.

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