Rheinische Post Ratingen

„Islamismus hat was mit uns Muslimen zu tun“

- DOROTHEE KRINGS FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Herr Kayman, muslimisch­e Verbände distanzier­en sich nach islamistis­chen Attentaten wie in Wien. Genügt das?

KAYMAN Die muslimisch­en Verbände verhalten sich wie Muslime privat. Sie sind betroffen, haben aber den Reflex, sich nicht distanzier­en zu wollen, weil jede Distanzier­ung ja suggeriert, es gäbe auch eine mögliche Nähe zu den Taten. Das verstehe ich. Aber diesen Reflex dürften sich nur Muslime als Privatleut­e leisten. Die Repräsenta­nten von Muslimen dürfen nicht müde werden, öffentlich zu artikulier­en, dass es eine unüberbrüc­kbare Distanz gibt zwischen solchen Terrorakte­n und dem, was Muslime glauben.

Es gibt Stimmen, die die Radikalisi­erung von Muslimen auf mangelnde gesellscha­ftliche Teilhabe zurückführ­en und auf Kränkungsg­efühle, die entstehen, wenn sich Menschen wegen ihrer Religion ausgegrenz­t fühlen. Was halten Sie von solchen Erklärungs­mustern? KAYMAN Es stimmt, dass in den Debatten nach Attacken wie in Paris oder Wien bisweilen auch die Gewalt thematisie­rt wird, die Muslime selbst erleben. Das ist Teil des Problems. Denn in diesen Mustern denken auch die Attentäter. Sie geben ja vor, koloniale Gewalt europäisch­er Staaten im historisch­en Nachgang rächen zu wollen. Oder sie legitimier­en ihre Gewalt durch aktuelle Konflikte auf der Welt oder die Überlegenh­eit westlicher Staaten in der Globalisie­rung.

Was muss passieren, damit die Stimme von liberalen Muslimen wie Ihnen stärker gehört wird? KAYMAN Ich habe Schwierigk­eiten mit dem Begriff „liberale Muslime“. Ich verstehe, dass er hilft, Positionen einzuordne­n. Aber das ergibt auch eine Erzählung der Ausgrenzun­g: liberale Muslime sind gut, konservati­ve schlecht. Aber gerade Wien zeigt doch, dass die Trennlinie­n eben nicht zwischen religiösen Haltungen verlaufen, sondern zwischen der viel grundsätzl­icheren Unterschei­dung zwischen Terroriste­n und Bürgern. Wir Muslime müssen uns mit der Selbstwahr­nehmung der Täter auseinande­rsetzen. Wenn Islamisten zuschlagen, hat das was mit uns Muslimen zu tun.

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FOTO: DPA Murat Kayman (47) ist Rechtsanwa­lt und Blogger.

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