„Islamismus hat was mit uns Muslimen zu tun“
Herr Kayman, muslimische Verbände distanzieren sich nach islamistischen Attentaten wie in Wien. Genügt das?
KAYMAN Die muslimischen Verbände verhalten sich wie Muslime privat. Sie sind betroffen, haben aber den Reflex, sich nicht distanzieren zu wollen, weil jede Distanzierung ja suggeriert, es gäbe auch eine mögliche Nähe zu den Taten. Das verstehe ich. Aber diesen Reflex dürften sich nur Muslime als Privatleute leisten. Die Repräsentanten von Muslimen dürfen nicht müde werden, öffentlich zu artikulieren, dass es eine unüberbrückbare Distanz gibt zwischen solchen Terrorakten und dem, was Muslime glauben.
Es gibt Stimmen, die die Radikalisierung von Muslimen auf mangelnde gesellschaftliche Teilhabe zurückführen und auf Kränkungsgefühle, die entstehen, wenn sich Menschen wegen ihrer Religion ausgegrenzt fühlen. Was halten Sie von solchen Erklärungsmustern? KAYMAN Es stimmt, dass in den Debatten nach Attacken wie in Paris oder Wien bisweilen auch die Gewalt thematisiert wird, die Muslime selbst erleben. Das ist Teil des Problems. Denn in diesen Mustern denken auch die Attentäter. Sie geben ja vor, koloniale Gewalt europäischer Staaten im historischen Nachgang rächen zu wollen. Oder sie legitimieren ihre Gewalt durch aktuelle Konflikte auf der Welt oder die Überlegenheit westlicher Staaten in der Globalisierung.
Was muss passieren, damit die Stimme von liberalen Muslimen wie Ihnen stärker gehört wird? KAYMAN Ich habe Schwierigkeiten mit dem Begriff „liberale Muslime“. Ich verstehe, dass er hilft, Positionen einzuordnen. Aber das ergibt auch eine Erzählung der Ausgrenzung: liberale Muslime sind gut, konservative schlecht. Aber gerade Wien zeigt doch, dass die Trennlinien eben nicht zwischen religiösen Haltungen verlaufen, sondern zwischen der viel grundsätzlicheren Unterscheidung zwischen Terroristen und Bürgern. Wir Muslime müssen uns mit der Selbstwahrnehmung der Täter auseinandersetzen. Wenn Islamisten zuschlagen, hat das was mit uns Muslimen zu tun.