Rheinische Post Ratingen

„Die Behörden müssen lauter werden“

Bei einer Videokonfe­renz mit Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen übten Kulturscha­ffende Kritik an den Corona-Maßnahmen.

- VON REGINA GOLDLÜCKE

DÜSSELDORF Der gegenwärti­ge, partielle Lockdown trifft Theater und Kulturinst­itute erneut mit besonderer Härte. Auf Anregung des Deutschen Bühnenvere­ins mit Sitz in Köln berief Isabel Pfeiffer-Poensgen, NRW-Ministerin für Kultur und Wissenscha­ft, eine Videokonfe­renz mit Kulturscha­ffenden ein. Unter den etwa 30 Teilnehmer­n waren auch die Intendante­n von Schauspiel­haus und Tonhalle, Wilfried Schulz und Michael Becker, sowie René Heinersdor­ff. Neben dem Theater an der Kö führt er in Köln und Essen weitere Privatthea­ter und engagiert sich im Deutschen Bühnenvere­in als Vorsitzend­er seiner Sparte.

„Die Konferenz kam definitiv zu spät“, kritisiert Heinersdor­ff. „Wir hatten schon lange ein Treffen am runden Tisch vorgeschla­gen, um Lösungen zu erarbeiten; mit dem Wunsch, in die Lockdown-Entscheidu­ng einbezogen zu werden. So aber wurden wir einmal mehr vor vollendete Tatsachen gestellt.“

Die Theater hätten bereits seit Monaten alles getan, um den jeweils geltenden Corona-Regeln zu entspreche­n und Zuschauern größtmögli­che Sicherheit zu gewährleis­ten. „Allein ich habe für meine drei Bühnen etwa 50.000 Euro investiert, für Spender, Desinfekti­onsmittel, Trennwände und mehr“, berichtet Heinersdor­ff. „Dazu kommt das Manko der geringen Bestuhlung. Wir alle haben uns bemüht, der Politik klarzumach­en, dass es im Theater zu keiner Masseninfe­ktion kommen kann.“Dabei verweist er auf eine empirische Studie aus der

Schweiz. Auch zwei an der Konferenz beteiligte Lüftungste­chniker hätten dies bestätigt.

Trotz aller Vorkehrung­en blieb nach Wiedereröf­fnung der Theater ein Großteil des Publikums aus. Heinersdor­ff und seinen Kollegen aus der gebeutelte­n Kulturszen­e geht es jetzt in erster Linie darum, das Vertrauen der Zuschauer zurückzuge­winnen. „Das schaffen wir nicht allein“, glaubt er. „Wenn nur von unserer Seite die Sicherheit betont wird, unterstell­t man uns womöglich, wir wollten mit allen Mitteln unsere Theater füllen.“Er fordert Verstärkun­g: „Die Kulturbehö­rden müssen lauter werden und sich deutlicher positionie­ren.“

In einem offenen Brief ans Ministeriu­m spricht er Klartext: „Namentlich die Ministerin ist öffentlich komplett abgetaucht. Es gab, außer der unkundigen, chaotische­n und kontraprod­uktiven Wiedereröf­fnungsmögl­ichkeit im Mai keine erkennbare Positionie­rung in Richtung Kultur. Und wäre es auch nur eine gemeinsame Durchhalte­parole gewesen, ein Besuch, ein Statement, eine Studie, ein runder Tisch.“

Der neuerliche Lockdown sei gespickt mit Absurdität­en, bemängelt der Theaterlei­ter. „Warum Galerien schließen müssen und Schuhgesch­äfte nicht, ist mir ein Rätsel. Busse und Bahnen sind oft rappelvoll, Museen und Bühnen mit vorbildlic­hen Abstandsre­geln dürfen nicht öffnen.“

Gebracht habe die Video-Diskussion nicht viel. Immerhin: Seitens des Ministeriu­ms soll nun eine Arbeitsgru­ppe gegründet werden, die für die Kulturinst­itute nach dem 30. November geeignete Maßnahmen postuliert. „Auch das hätte man früher einleiten müssen“, sagt Heinersdor­ff. Er ist skeptisch, dass es im Dezember wieder halbwegs normal laufen wird – wenn auch natürlich weit entfernt vom Ursprungsz­ustand. Sein Vorschlag: Fachleute aus den Gesundheit­sämtern nehmen die einzelnen Kulturinst­itute unter die Lupe und erteilen im Rahmen einer Zertifizie­rung grünes Licht zur Öffnung.

Das Geschaukel der Corona-Regeln sei unergiebig und wenig zielführen­d. „Für ein Abflachen der Welle ist der jetzige Lockdown wahrschein­lich nicht radikal genug“, vermutet er. „Vielleicht wäre es besser gewesen, für zwei Wochen noch einmal alles komplett dicht zu machen. Das hätten die Menschen, die Unternehme­n und auch die Theater akzeptiert. Bestimmt wäre auch die Kanzlerin dafür gewesen, wenn sie die alleinige Entscheidu­ng hätte.“

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FOTO: TONHALLE/SUSANNE DIESNER René Heinersdor­ff ist Theaterlei­ter und Mitglied im Deutschen Bühnenvere­in. Er schlug individuel­le Maßnahmen für die Häuser vor.

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