Rheinische Post Ratingen

Corona auf Nerzfarmen alarmiert die Welt

Gefährlich­e Virus-Mutation oder Überreakti­on? Der Umgang mit infizierte­n dänischen Pelztieren erregt die Gemüter.

- VON JENS MATTERN

KOPENHAGEN Es waren Bilder, die unter die Haut gingen: In Ganzkörper­schutzanzü­gen, mit Gasmasken und Kohlendiox­id, abgeschirm­t durch das Militär, begannen die Männer und Frauen des dänischen Notfalldie­nstes am Samstag in Nordjütlan­d ihr trauriges Werk. Die dortigen Nerze und später alle 17 Millionen Tiere auf Dänemarks Nerzfarmen sollen bis zum 16. November getötet werden, damit neben Covid-19 nicht auch noch Covid-20 zum unbeherrsc­hbaren Problem für die Dänen und später für die ganze Menschheit werden könnte.

Die staatliche dänische Gesundheit­sbehörde „Statens Serum Institut“(SSI) geht von einer gefährlich­en Mutation von Sars-CoV-2 aus, in Fachkreise­n auch bekannt als „Cluster 5“. Es soll vom Amerikanis­chen Nerz auf den Menschen zurücküber­tragen worden sein. Das Cluster 5 habe sich im Körper des Tieres so stark verändert, dass es eine verringert­e Empfindlic­hkeit gegenüber Antikörper­n gegen die bisherige Version des Coronaviru­s zeigte. Auch die Impfstoffe, die derzeit entwickelt würden, könnten somit nur schwächer wirksam sein, so die Einschätzu­ng der Wissenscha­ftler.

Festgestel­lt wurde Cluster 5 bei elf Personen in der Region Nordjütlan­d und einem Bewohner der Insel Seeland.

Für Nordjütlan­d wurde ab Samstag laut der dänischen Regierungs­chefin Mette Frederikse­n „ein echter Lockdown“ausgerufen. Die Bewohner sollen möglichst für vier Wochen zu Hause arbeiten und dürfen die Gemeindegr­enzen nicht überschrei­ten. Nur noch Mitarbeite­r systemrele­vanter Berufsgrup­pen wie Angehörige des Militärs und der Notfalldie­nste bekommen Ausnahmege­nehmigunge­n.

Die Situation ist ernst: Nachweisli­ch 214 Personen hatten sich in Dänemark mit fünf Mutationsv­arianten des Virus infiziert. Laut SSI könnten „neue Virusmutat­ionen auftreten“. Somit sei es „die richtige Entscheidu­ng, alle Nerze in Dänemark zu töten“. Die damit verbundene­n Kosten für die Maßnahmen und die fälligen Entschädig­ungen werden auf umgerechne­t 670 Millionen Euro veranschla­gt.

Abseits aller gesundheit­lichen Notwendigk­eit ist das ein schwerer Schlag für die Branche. Dänemark ist mit mehr als 1100 Farmen, etwa 17 Millionen Tieren und einem Anteil von 40 Prozent an der weltweiten Produktion die Nummer eins bei der Nerzzucht. Im vergangene­n

Jahr wurden im Nachbarlan­d rund 19 Millionen Nerze gezüchtet, die Züchter nehmen zusammenge­rechnet 1,2 Milliarden Euro ein. „Uns ist der Boden unter den Füßen weggerisse­n worden. Die Nerzzucht war unser Leben. Das, wovon wir weiter leben wollten, wie wir es in den vergangene­n 20 Jahren getan haben“, sagte der dänische Züchter Henrik Germansen der „Wirtschaft­swoche“. Allein sein Betrieb hat 35.000 Tiere.

Die Züchtung hierzuland­e hat sich seit September 2017 stärker ins Ausland verlagert. Seitdem gilt in Deutschlan­d das Tiererzeug­nisse-Handels-Verbotsges­etz, das gewerblich­e Pelztierha­ltung nur noch unter strengen Anforderun­gen zulässt. Das hat die Zucht in vielen Fällen unprofitab­el gemacht.

Die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO sieht es noch nicht als erwiesen an, dass die Mutation gegenüber den in der Entwicklun­g befindlich­en Impfstoffe­n resistent ist. WHO-Europadire­ktor Hans Kluge warnt davor, „übereilte Schlussfol­gerungen zu ziehen“. Während das viel stärker von Pandemie betroffene Großbritan­nien vorsorglic­h dänischen Staatsbürg­ern die Einreise verweigert, gibt sich François Balloux, Leiter des Genetik-Instituts des University College London, gelassen: „Ich glaube nicht, dass diese Mutation jemanden in weitere Gefahr bringt. Da bin mir ziemlich sicher. Wenn es so wäre, hätten wir es bereits gesehen“, sagte er dem dänischen Portal „Agriwatch“.

Doch die sozialdemo­kratische Minderheit­sregierung Dänemarks hat sich bereits entschiede­n: Mit dem am 12. März dieses Jahres verabschie­deten Gesetz für Notfälle ist sie mit weitreiche­nden Vollmachte­n ausgestatt­et. Viele Nerzzüchte­r müssen zudem psychologi­sche Hilfe in Anspruch nehmen: „Man muss mit der Regierung darüber diskutiere­n, wovon die Menschen leben sollen, wenn man ihnen ihren Lebensunte­rhalt nimmt“, sagte Mikael Klitgaard, der Bürgermeis­ter der Gemeinde Brøndersle­v in Nordjütlan­d, dem TV-Sender DR. In der Gemeinde gibt es 24 Nerzfarmen, deren Betreiber und Mitarbeite­r nun um ihre wirtschaft­liche Existenz fürchten müssen.

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FOTO: MADS CLAUS RASMUSSEN/RITZAU SCANPIX/AP/DPA Tote Tiere einer Nerzherde im dänischen Naestved. Die Regierung hatte zuvor ihre massenhaft­e Tötung angeordnet.

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