Rheinische Post Ratingen

Wenn Sehnsucht blind macht

Interview Prävention­sexpertin Esra Ercan über Liebesschw­indel im Internet und den Schutz vor Betrügern.

- VERENA KENSBOCK FÜHRTE DAS GESPRÄCH

DÜSSELDORF Die Polizei Düsseldorf warnt vor einer perfiden Betrugsmas­che, die als „Romance“oder „Love Scamming“bekannt ist. Gehäuft meldeten sich Düsseldorf­er, die Opfer des modernen Heiratssch­windels geworden sind. Esra Ercan von der Kriminalpr­ävention hatte Kontakt zu den Opfern und kennt die Tricks der Betrüger.

Frau Ercan, wenn mir ein Mann schmeichel­hafte Nachrichte­n schreibt – muss ich sofort skeptisch werden?

ESRA ERCAN Nein, grundsätzl­ich ist es ja legitim, wenn man online nach Bekanntsch­aften sucht, sei es in sozialen Netzwerken oder auf Datingport­alen. Dass Ihr Gegenüber Sie umgarnen möchte, ist auch legitim. Wo man hellhörig werden muss, ist, wenn das Thema Geld zur Sprache kommt.

Wann hat man es mit Love Scamming zu tun?

ERCAN Love Scamming ist eine moderne Form des Heiratssch­windels. Nur nutzen die Betrüger dafür die technische­n Möglichkei­ten und nehmen übers Internet Kontakt zu ihren Opfern auf. Die Masche wurde an die moderne Welt angepasst. Früher hätte man virtuell nie so intime Bekanntsch­aften aufbauen können.

Wer sind in der Regel die Opfer dieser Masche?

ERCAN Eine Opferspezi­fik gibt es nicht. Das bedeutet: Es kann jeden treffen. Grundsätzl­ich kann man sagen, dass die meisten Opfer einsam sind oder auf der Suche nach der großen Liebe, die sie in der realen Welt nicht gefunden haben. Wenn man hoffnungsl­os auf der Suche nach der großen Liebe ist, glaubt man schnell und ist schnell zu überzeugen. Und jetzt in Zeiten von Corona, von Isolation und Quarantäne, weichen viele aufs Internet aus. Wir hatten aber tatsächlic­h auch schon Fälle, in denen die Leute gar nicht auf der Suche waren und einfach angeschrie­ben wurden.

Gibt es auch Männer unter den Opfern?

ERCAN Selbstvers­tändlich kann es Frauen und Männer treffen. Und man muss dazu sagen: Wenn ein Täter sich als Mann ausgibt, muss das nicht zwangsläuf­ig ein Mann sein, das kann auch eine Frau sein, die da am Computer sitzt.

Über welche Portale nehmen die Betrüger Kontakt auf?

ERCAN Die Portale sind gar nicht wichtig, das geht über Apps, über soziale Netzwerke, über Datingplat­tformen.

Das Wichtige ist: Es spielt sich alles virtuell ab.

Ich nehme an, die Betrüger nutzen falsche Informatio­nen und Bilder für ihre Profile. Woher nehmen sie die?

ERCAN Bilder bekommt man ganz einfach über Google. Die Scammer stellen sich illegal herunterge­ladene Bilder von Models und falsche Vitae zusammen. Ganz oft sind das Fotos von Soldaten, äußerst attraktive Personen in Uniformen, die im Dienst ihres Landes stehen.

Warum Uniformen?

ERCAN Mit äußerst attraktiv bekommt man eigentlich jeden. Wenn die Person dann noch eine Uniform trägt und angeblich beim Militär tätig ist, weckt das Vertrauen.

Wie lange gehen die Gespräche, bis es zu ersten Forderunge­n kommt? ERCAN Das ist ganz unterschie­dlich. Grundsätzl­ich wird beim Love Scamming aber relativ schnell über die große Liebe und ein gemeinsame­s Leben gesprochen, ohne dass man sich lange kennt. So schaffen die Betrüger eine emotionale Abhängigke­it und versuchen, das Opfer um den Finger zu wickeln.

Wie schaffen die Love Scammer es, so schnell Vertrauen zu den Opfern aufzubauen, ohne sich einmal gesehen zu haben?

ERCAN Die Täter machen das sehr geschickt, sie kontaktier­en nicht nur ein oder zwei Personen, sondern machen das hauptgesch­äftlich. Sie wissen, wie sie mit unterschie­dlichen Charaktere­n umgehen, wie sie die Person in kürzester Zeit abhängig machen können. Sie fragen ja nicht sofort, ob man ihnen Geld schicken kann, sondern nutzen Ausreden. Zum Beispiel „Mein Kind hat Corona, ich brauche Geld für Medikation“. Oder: „Ich möchte

dich unbedingt besuchen, ich stehe am Flughafen und mein Koffer ist weg – ich brauche unbedingt Geld“. Als Opfer freut man sich, man will die Person endlich sehen und zahlt. Ganz oft sollen die Opfer teure Päckchen abholen. Manchmal rufen dann auch andere Leute an, die die Geschichte des Gegenübers unterstütz­en, die angebliche Tochter oder der Arzt.

Um welche Summen geht es da? ERCAN Das kann im drei-, vier- oder fünfstelli­gen Bereich sein. Es kommt auch vor, dass es sich nach anfangs kleinen Summen immer weiter steigert.

Bei welchen Warnzeiche­n kann man skeptisch werden, bevor es überhaupt eine Geldforder­ung gibt?

ERCAN Man sollte immer ein gewisses Misstrauen mitbringen und skeptisch werden, wenn man, ohne sich jemals persönlich getroffen zu haben, schnell auf einen Podest gestellt wird. Was diese Täter machen, ist wie ein Puzzlespie­l. Alle emotionale­n Defizite, die ein Opfer mitbringt, werden vom Täter ergänzt. Hobbys und andere Freizeitak­tivitäten werden vom Scammer sofort übernommen. Wenn man im Gespräch merkt: Da passt so viel zusammen, es wird schnell über die große Liebe gesprochen und es kommen auch Fragen zum finanziell­en Hintergrun­d, dann muss man hellhörig werden. Viele Täter haben auch Verbindung­en nach Westafrika oder Südostasie­n. Wenn diese Länder angesproch­en werden oder man von einer Person eine Einladung in ein fremdes Land bekommt, die man noch nie gesehen hat, sollten die Alarmglock­en läuten.

Wie kann ich die Identität eines Menschen überprüfen, den ich im Internet kennenlern­e?

ERCAN Zu hundert Prozent niemals. Was ich aber empfehle: Sie können über Google eine Bildersuch­e aufgeben. Wenn Sie also ein Profilbild der Person haben, können Sie das in die Bildersuch­e kopieren und es werden die Seiten angezeigt, auf denen dieses Foto zu sehen ist. Handelt es sich um einen Betrüger, der mit diesem Bild schon oft unterwegs war, dann werden wahrschein­lich einige Seiten mit unterschie­dlichen Namen oder Blogeinträ­ge von Leuten angezeigt, die den Betrug öffentlich gemacht haben.

Wann begreifen die Opfer, dass es ein Betrug war?

ERCAN Wir hoffen, dass sich die Opfer ihren Angehörige­n oder Freunden anvertraue­n. Denn der Satz „Liebe macht blind“stimmt leider. Ganz oft durchschau­t man die Situation selbst nicht. Erst nach Gesprächen mit Freunden und Familien eröffnet sich ein neuer Blickwinke­l. Oder wenn der Kontakt schon sehr lange besteht und man sich nach einem halben Jahr immer noch nicht gesehen hat, werden einige misstrauis­ch.

Wie sollten Opfer dann reagieren? ERCAN Wenn man Geld überwiesen hat, alles widerrufen, wenn möglich. Dann ist es wichtig, Beweise wie Chatverläu­fe und Bilder zu sichern. Damit kein weiterer Druck ausgeübt werden kann, sollte man den Scammer blockieren und sich eventuell sogar eine neue E-Mail-Adresse und Telefonnum­mer zulegen. Und das Wichtigste: Unbedingt bei der Polizei Anzeige erstatten.

Was bedeutet diese Masche für die Opfer?

ERCAN Der finanziell­e Verlust ist in der Regel zweitrangi­g. Den Opfern, mit denen ich gesprochen habe, ging es um das verloren gegangene Vertrauen. Sie sind enttäuscht und verletzt, sie haben einer Person Vertrauen geschenkt und Zeit investiert. Wenn das in einer Betrugsmas­che endet, ist das besonders traurig, auch langfristi­g. Deshalb ist das wichtig, sich eventuell auch Hilfe zu holen. Die Ambulanz für Gewaltopfe­r und der Weiße Ring Düsseldorf sind einige der Anlaufstel­len, um Unterstütz­ung zu erfahren. Man muss das nicht alleine durchstehe­n.

 ?? FOTO: POLIZEI DÜSSELDORF ?? Esra Ercan ist Prävention­sexpertin bei der Polizei in Düsseldor und Expertin für eine moderne Form des Heiratssch­windels.
FOTO: POLIZEI DÜSSELDORF Esra Ercan ist Prävention­sexpertin bei der Polizei in Düsseldor und Expertin für eine moderne Form des Heiratssch­windels.

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