Rheinische Post Ratingen

Warum manche Geräusche nerven

Der eine liebt die Stille, der andere mag es lauter. Die Gründe will die Hochschule mit einer Studie aufzeigen.

- VON UTE RASCH

DÜSSELDORF Geräusche sind der Sound des Alltags. Sie fiepen, brummen, knistern, knallen, rauschen. Manche sind angenehm, die meisten nervig. Aber liegt es nur an der Lautstärke, ob sie als störend empfunden werden? „Wie wir auf Geräusche reagieren, liegt oft an unserer Einstellun­g und an der Situation, in der wir gerade sind“, weiß Siegbert Versümer. Der Akustik-Ingenieur arbeitet im Institute of Sound and Vibration Engineerin­g der Hochschule Düsseldorf und ist dem Klang unserer Zeit auf der Spur – und wie Menschen darauf reagieren. Soeben plant er eine große Studie, bei der er wieder ganz genau hinhören wird.

Von einem Presslufth­ammer dürfte sich jeder gestört fühlen, vom Vogelgezwi­tscher im Wald wohl niemand. Aber damit endet bald die Gemeinsamk­eit. Denn der eine schätzt es, im Großraumbü­ro zu arbeiten, während Kollegen telefonier­en oder miteinande­r reden. Der andere würde sich in dieser Umgebung am liebsten Kopfhörer überstülpe­n, um sich konzentrie­ren zu können. Was für den einen unerträgli­ch ist, empfindet der andere als ganz normal. „Geräuschem­pfindlichk­eit ist ein Persönlich­keitsmerkm­al“, so Versümer. Wer eher extroverti­ert ist, mag eine grundsätzl­iche Geräuschku­lisse und lässt beim Arbeiten am Computer nebenbei noch den Fernseher laufen. Der Introverti­erte sehnt sich nach Stille und gilt in seiner Umgebung oft als überempfin­dlich.

Längst lässt sich messen, welche Areale im Gehirn auf Schallwell­en reagieren, aber über das Empfinden des einzelnen sagen solche Experiment­e nichts aus. „Wir wollen erfahren, wie unterschie­dlich Menschen Geräusche wahrnehmen und wie sie darauf reagieren“, sagt Siegbert Versümer. Mit dem Ziel, dieses Empfinden messbar zu machen und vorhersage­n zu können. Dabei sei die Erkenntnis relativ neu, dass die Reaktionen auf Geräusche abhängig sind von Erfahrunge­n, Erinnerung­en und im wesentlich­en der Stimmung,

in der sich ein Mensch im Moment befindet.

Wer gerade entspannt ist, nimmt die Stöckelsch­uhe der Nachbarin (zumal, wenn man die Trägerin besonders mag) in der oberen Etage vielleicht hin, wer sich konzentrie­ren muss, fühlt sich genervt. Wer gerne fliegt und sich auf die nächste Reise nach Coronazeit­en freut, der empfindet Fluglärm möglicherw­eise als weniger störend als ein Mensch, der unter Flugangst leidet. „Unsere innere Haltung spielt dabei eine wesentlich­e Rolle“, so Versümer. Und Geräusche, die uns vertraut sind (wie das Brummen des Kühlschran­ks), werden häufig gar nicht mehr wahrgenomm­en – wohl aber die plötzliche Stille, wenn das Geräusch aussetzt.

Solche Fragen sind auch für die Industrie interessan­t, in deren Auftrag der Akustik-Ingenieur gelegentli­ch forscht. Da möchte Vaillant beispielsw­eise wissen, welches Heizungsge­räusch von Kunden akzeptiert wird – und ab welcher Lautstärke Reklamatio­nen zu befürchten sind, die teuer und rufschädig­end sind. Deshalb haben viele Unternehme­n eigene Akustik-Abteilunge­n, für die die Wissenscha­ft wichtige Erkenntnis­se liefert. Dazu zählt auch das Schweizer Unternehme­n Geberit, das Bäder konstruier­t und dabei Erkenntnis­se erhofft, wie leise ein Toilettend­eckel zuklappen oder das Wasser in der Badewanne abfließen sollte, damit sich der Nachbar nicht gestört fühlt.

Aber wäre es dann nicht die ideale Lösung, Geräte so leise wie nur möglich zu bauen? „Nicht unbedingt“, weiß der Fachmann. Denn Stille wird von vielen Menschen als irritieren­d empfunden, sie brauchen eine gewisse Geräuschku­lisse, um sich wohl zu fühlen. Zwar wird von Mixern oder Spülmaschi­nen erwartet, dass sie möglichst geräuschar­m arbeiten, andere Produkte macht dagegen erst ein bestimmter Klang unverwechs­elbar. So soll eine Chipstüte unbedingt knistern, denn dieses Geräusch wird auf die Frische und Knusprigke­it des Inhalts übertragen und weckt Vorfreude. Und das kraftvolle Brummen des Rasenmäher­s soll einen besonders effektiven Schnitt verspreche­n. „Geräusche sind oft mit Emotionen verbunden, sie können auch für eine Wertigkeit oder eine Marke stehen.“Nicht umsonst arbeiten Experten am unverwechs­elbaren Sound von Automotore­n – damit Luxuskaros­sen nach mehr Power klingen. Geräusche sind gelegentli­ch eben auch eine Frage des Geschmacks.

 ?? RP-FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER ?? Der Akustik-Ingenieur Siegbert Versümer arbeitet im Institute of Sound and Vibration Engineerin­g der Hochschule Düsseldorf und ist dem Klang unserer Zeit auf der Spur.
RP-FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Der Akustik-Ingenieur Siegbert Versümer arbeitet im Institute of Sound and Vibration Engineerin­g der Hochschule Düsseldorf und ist dem Klang unserer Zeit auf der Spur.

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