Ein Affe vor wilder Kamera
DÜSSELDORF Man muss sich zu helfen wissen. Doch das ist leichter gesagt als getan, wenn die Corona-Verfügungen den Theatern ihr Publikum vorenthalten. Das Düsseldorfer Schauspielhaus hat jetzt einen Weg gefunden, sich dennoch Öffentlichkeit zu verschaffen und dabei sogar noch etwas zu bieten, das man als Zuschauer im Kleinen Haus nicht bekommen hätte: eine künstlerische Kameraführung in einem Stream, der von der Bühne vor unbesetzten Rängen direkt auf den Laptop daheim zielte.
So erlebte man Kilian Land mit seinem Monolog „Ein Bericht für eine Akademie“von Kafka diesmal in der Vermittlung durch einen angesehenen Fotografen: Thomas Rabsch, der für das Schauspielhaus sonst Ensemble- und Inszenierungsbilder produziert und diesmal zur Videokamera griff. Das machte ihn neben Roger Vontobel fast zum zweiten Regisseur.
Kilian Land spielt in Kafkas Text von 1917 einen Affen, den die Mitglieder einer Akademie bitten, einen Bericht über sein äffisches Vorleben einzureichen. Auf einer Jagdexpedition in Afrika gefangen und in einem Käfig verschifft, hat er auf dem viehischen Weg nach Europa erkannt, dass es für ihn eine zweite, bessere Möglichkeit gibt als ein Leben im Zoo: das regelmäßige Auftreten in einem Varieté. Dort wird er zum Menschenimitator und bleibt doch ein Affe.
Der Text bietet als Geschichte einer erzwungenen Anpassung zahlreiche Deutungsmöglichkeiten. Er lässt sich als Stammesgeschichte des Menschen verstehen, als Satire auf die abendländische Geschichte der Zivilisation, vor allem aber als Spiegel des Drucks zur Assimilierung, dem sich das jüdische Volk jahrhundertelang ausgesetzt sah, um zu überleben. Kafka wusste, wovon er schrieb.
Dem Schauspieler bietet der Text Gelegenheit zu einer wundervollen Gratwanderung zwischen Tier und
Mensch. Kilian Land bewegt sich viel, schreit zuweilen, setzt sich auf einen Stuhl, springt sogleich auf, windet sich dann im Bühnennebel und glaubt am Schluss, die Durchschnittsbildung eines zivilisierten Menschen erreicht zu haben. Zum glanzvollen Dreh- und Angelpunkt wird die Szene, in welcher der Affe mit Glas und Flaschen hantiert und angewidert versucht, sich das Trinken alkoholischer Getränke anzugewöhnen. Gegen Ende spricht er über seine Auftritte im Varieté den einzigen Satz, der nicht bei Kafka seht: „Am Abend ist immer Vorstellung, es sei denn, wir sind im Lockdown.“
Es herrscht also viel Wirbel auf der Bühne. Kameramann Thomas Rabsch bildet dagegen nicht etwa einen Ruhepol, sondern wirbelt kräftig mit. Ständig scheint er mit seiner Videokamera hin und her zu laufen, zoomt seinen einzigen Darsteller mal heran, mal zurück, reagiert auch schon mal zu spät auf Kilian Lands Bewegungen, so dass der Kopf kurzzeitig aus dem Bild gerät.
Das Wechselspiel zwischen Schauspieler und Kameramann, deren Mittel einander ähneln, ist ein interessantes Experiment, aus der Not geboren und sehenswert. Doch weckt der Abend am Laptop daheim auch die Lust, Theater wieder im Theater zu erleben, unvermittelt, mit Menschen im Saal, mit Applaus und Gesprächen im Foyer.
Zum Schluss tänzelt der Affe in die Dunkelheit. Die Kamera folgt ihm, diesmal behutsam, auf dem Weg zur Tür hinaus. Es wird schwarz.