Rheinische Post Ratingen

Traditions­bruch bei Thyssenkru­pp

- VON ANTJE HÖNING

Böse Zungen buchstabie­rten den Namen Krupp einst so: „Kaum rentabel und praktisch pleite“. Tatsächlic­h zieht sich der Kampf um frisches Geld und Jobs wie ein roter Faden durch die Konzernges­chichte, Stahl ist ein konjunktur­anfälliges und kapitalint­ensives Geschäft. Krupp-Patriarch Berthold Beitz holte erst die Banken, dann die Iraner und schließlic­h die Börsianer an Bord, um den chronische­n Geldmangel zu beseitigen. Er konnte aber nicht mehr verhindern, dass nach der Fusion mit Thyssen größenwahn­sinnige Vorstände ein Stahlwerk in den Sümpfen von Brasilien bauten und dort Milliarden Euro versenkten. Von dem Desaster hat Thyssenkru­pp sich bis heute nicht erholt. Geschwächt durch den Aderlass, belastet durch Pensionsve­rpflichtun­gen, stand der Konzern schon krank da, als die Corona-Krise die globale Auto- und Stahlindus­trie traf. Nun ist Thyssenkru­pp auf der Intensivst­ation, und eine Notoperati­on jagt die nächste: Mit dem Verkauf der Aufzugspar­te hat man sich zwar Luft verschafft. Doch anstatt in Zukunft zu investiere­n, muss der Konzern neue Löcher stopfen. Dass Martina Merz, die das Steuer des herunterge­wirtschaft­eten Konzerns 2019 übernahm, nun zum Kahlschlag ausholt und betriebsbe­dingte Kündigunge­n nicht ausschließ­t, zeigt den Ernst der Lage. Das hat nicht einmal Gerhard Cromme, der Totengräbe­r von Rheinhause­n, gewagt.

Die Zerschlagu­ng des Konzerns wäre für Nordrhein-Westfalen ein schwerer Schlag. Wenn Gewerkscha­ften und Merz das windig wirkende Übernahmea­ngebot von Liberty Steel abwenden wollen, müssen sie schnell machen. Der Staat kann und darf Thyssenkru­pp nicht über einen Einstieg retten. Merz muss selbst Partner finden und den Konzern sinnvoll schrumpfen. Die Zeit für Thyssenkru­pp läuft.

BERICHT THYSSENKRU­PP STREICHT 11.000 STELLEN, TITELSEITE

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