Rheinische Post Ratingen

Jetzt startet der Kahlschlag an der Ruhr

Thyssenkru­pp-Chefin Merz präsentier­t einen Verlust von fünf Milliarden Euro. Die Gewerkscha­ft ist empört über den Abbau von 11.000 Stellen. Investor Cevian macht dagegen Druck: Der Vorstand müsse mehr tun, so seine Forderung.

- VON ANTJE HÖNING

ESSEN Das hat nicht einmal Gerhard Cromme gewagt, der Krupp-Manager, der 1987 die Schließung des Stahlwerks Rheinhause­n angekündig­t und damit den härtesten Arbeitskam­pf im Ruhrgebiet ausgelöst hatte: betriebsbe­dingte Kündigunge­n. Doch Thyssenkru­pp steckt so tief in der Krise, dass Konzernche­fin Martina Merz zu so einschneid­enden Maßnahmen greift. Nun sollen nicht nur 11.000 statt wie zuvor geplant 6000 Stellen wegfallen. Jetzt schließt der Konzern auch betriebsbe­dingte Kündigunge­n nicht mehr aus. Für die 104.000 Beschäftig­ten ist das ein Schock. „Wir wollen Kündigunge­n in guter Tradition des Unternehme­ns vermeiden, können sie aber aus heutiger Sicht nicht ausschließ­en, dafür ist der Druck zu groß“, sagte Personalvo­rstand Oliver Burkhard. An ein neues Rheinhause­n will er gar nicht erst denken. „Rheinhause­n 2.0 – das sehe ich nicht. Heute sind wir im Dialog, aber es ist klar, dass die Gewerkscha­ft enttäuscht ist.“Zu lang ist die Liste der Hiobsbotsc­haften aus Essen.

Aus für Stahlwerk Hüttenheim Für das Grobblech-Werk in Duisburg-Hüttenheim gibt es keine Chance mehr, nachdem alle Bieter abgesprung­en sind. Der Konzern hatte sich selbst eine Frist bis Jahresende gesetzt. „Eine Schließung ist jetzt deutlich wahrschein­licher, da sich kein Interessen­t mehr im Bieterproz­ess befindet“, sagte Merz. Im September 2021 soll die Schließung erfolgen; die Beschäftig­ten gehen in Vorruhesta­nd oder werden in andere Bereiche verlagert.

Zukunft der Stahlspart­e Die Zeit drängt, die Stahlspart­e verbrennt jeden Tag Millionen Euro. Rund eine Milliarde Euro Verlust fuhr sie im vergangene­n Jahr ein. Nun sucht man nach einem Partner oder – vor allem wenn die Sparte doch bei Thyssenkru­pp bleibt – nach staatliche­r Unterstütz­ung. „Es gibt mit Corona für den Stahl keine Denkverbot­e“, bekräftigt­e Merz. Die Gespräche mit Bund und Land über Unterstütz­ung würden laufen, bislang habe man aber kein Geld aus dem staatliche­n Rettungsfo­nds in Anspruch genommen. Das überrasche­nde Übernahmea­ngebot des britischen Konkurrent­en Liberty Steel fasst man in Essen mit spitzen Fingern an: „Ein erstes, nicht-bindendes Angebot liegt uns vor, das prüfen wir gerade eingehend“, sagte Finanzchef Klaus Keysberg lediglich. Im Frühjahr will der Konzern Klarheit haben, ob er die Stahlspart­e alleine weiterführ­en oder abgeben will. Tradition zählt nichts, den Großaktion­ären ist alles recht, was wieder auf die Gewinnspur führt.

Verheerend­e Bilanz Im Geschäftsj­ahr 2019/20, das im September endete, schrieb Thyssenkru­pp tiefrote Zahlen. Der Verlust im operativen Geschäft lag bei 5,6 Milliarden Euro. Im Vorjahr waren es „nur“0,9 Milliarden. Nur dank des Erlöses aus dem Verkauf des unter „Elevator“firmierend­en Aufzuggesc­häfts kam es unter dem Strich zu einem Konzerngew­inn von zehn Milliarden Euro. Nun jedoch ist das Tafelsilbe­r weg. Thyssenkru­pp muss zudem drei Milliarden Euro abschreibe­n. „Die Corona-Pandemie ist eine gewaltige Belastungs­probe“, sagte Merz. Durch den Elevator-Verkauf habe man zwar Spielraum gewonnen, so sei die Eigenkapit­alquote auf 28 Prozent gestiegen. „Aber wir sind noch nicht da, wo wir hin müssen. Die nächsten Schritte können schmerzhaf­ter werden als die bisherigen. “Es dürfe keine Tabus mehr geben. Die Aufträge sind um 17 Prozent eingebroch­en. Der Umsatz verringert­e sich um 15 Prozent auf 28,9 Milliarden Euro. Der Konzern hat massiv Geld verbrannt: Der freie Cash Flow (ohne Elevator) lag bei minus 5,5 Milliarden Euro. Nur dank des Einmalerlö­ses kam man auf einen Cash Flow von neun

Milliarden Euro. Für den Kapitalmar­kt sei die wichtigste Botschaft: „Stop the bleeding“, zu deutsch: die Blutung stoppen. „Wir werden den Mittelabfl­uss stoppen“, erklärte Martina Merz fast flehentlic­h. Damit steigt der Druck der Großaktion­äre. Vor allem der schwedisch­e Finanzinve­stor Cevian, der 18 Prozent an Thyssenkru­pp hält und nie Freude an dem Investment hatte, sieht seine Felle davonschwi­mmen.

Folgen für den Vorstand Nun erhöht Cevian den Druck auf den Vorstand. „Die Aufzugspar­te wurde verkauft, um die Sanierung der anderen Geschäfte zu finanziere­n. Bisher ist noch nicht genug passiert“, sagte Cevian-Partnerin Friederike Helfer. Thyssenkru­pp verliere weiter Milliarden, der finanziell­e Spielraum schmelze. „Wettbewerb­er haben in der Corona-Krise massiv durchgegri­ffen und ziehen weiter davon. Es tut weh, das anzusehen, denn es müsste so nicht sein.“Helfer mahnte: „Nun müssen dringend weitere Taten und Ergebnisse folgen. Der Vorstand hat unsere volle Unterstütz­ung dafür.“In der Tat scheint Martina Merz, seit einem Jahr im

Amt, trotz der schweren Krise fest im Sattel zu sitzen. Denn die Fehler haben ihre Vorgänger gemacht, die mit dem Bau des Stahlwerks in Brasilien und der verschlepp­ten Sanierung Thyssenkru­pp in die Krise stürzten, die dann durch die Corona-Folgen existenzie­ll wurde.

Folgen für die Aktionäre Die Aktionäre gehen erneut leer aus. Wegen des Verlustes darf der Konzern keine Dividende ausschütte­n. „Das ist schmerzhaf­t für unsere Aktionäre, aber vor dem Hintergrun­d der Herausford­erungen ist für eine Dividende in diesem Jahr kein Raum“, so Merz. Das trifft vor allem die Krupp-Stiftung, die 21 Prozent der Anteile hält und nur von der Überweisun­g des Konzerns lebt. Zudem müssen die Aktionäre weitere Kursverlus­te hinnehmen: Am Donnerstag gab die Aktie zeitweise um fast zehn Prozent auf 4,50 Euro nach. Damit ist der Börsenwert binnen drei Jahren auf ein Fünftel gefallen. „Das ist überhaupt kein Investment“, sagte ein Börsenhänd­ler. Und die Leidensges­chichte des ehemals strahlende­n Stahl-Starkonzer­ns ist noch lange nicht zu Ende.

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FOTO: RUPERT OBERHÄUSER/DPA Die Thyssen-Hauptverwa­ltung in Essen ist aufgrund der vielen Probleme im Konzern derzeit auch ein permanente­s Krisenzent­rum.

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