Kritik am Projekt gegen Pädophilie
An der Uniklinik können sich Menschen mit pädophilen Neigungen behandeln lassen. Experten bezweifeln die Wirksamkeit des Präventionsprojekts, das derzeit evaluiert wird.
BILK Das Projekt „Kein Täter werden“zur Prävention von Kindesmissbrauch, das auch einen Standort an der Uniklinik hat, steht auf dem Prüfstand. Bis 2022 sollen Daten aus dem bundesweiten Netzwerk von einem Team um den Chemnitzer Psychologieprofessor Stephan Mühlig ausgewertet werden. Dabei geht es laut einer Projektsprecherin darum, die „Wirksamkeit und Unschädlichkeit des Therapieansatzes“zu überprüfen. In dem Projekt werden Menschen, die pädophil veranlagt sind und darunter leiden, psycho- und sexualtherapeutisch behandelt. Es ist auf das Dunkelfeld ausgelegt, also Personen, die die Neigung haben, aber bislang nicht straffällig geworden sind. Ziel ist es, das Leiden der Patienten zu mindern – und Kindesmissbrauch zu verhindern.
Daran bestehen aber laut Experten Zweifel. So hat der Soziologe Andrej König von der TU Dortmund eine Pilotstudie des Standortes Berlin untersucht und sagt: „Zwischen der Gruppe, die in Behandlung war, und einer Kontrollgruppe gab es keine statistisch signifikanten Unterschiede.“Zudem seien nur Selbstauskünfte von Klienten verwendet worden, die die Therapie nach zwölf Monaten abgeschlossen hatten. Rund ein Drittel breche diese aber den Studienautoren zufolge ab – und aus der kriminologisch-forensischen Forschung sei bekannt, dass gerade Behandlungsabbrecher die höchsten Rückfallraten aufwiesen.
Ein weiterer Kritikpunkt: Die Aussagen der Patienten seien nicht mit Daten der Polizei abgeglichen worden. „Es ist aber durchaus fraglich, welche Verlässlichkeit die Selbstauskünfte der Klienten haben“, sagt König. Zudem sei unklar, wie mit Informationen über sexuelle Missbrauchshandlungen umgegangen werde. „Wurden Jugendämter oder Polizei informiert? Hier sehe ich auch ein ethisches Problem.“
Die Uniklinik weist die Kritik zurück. Dem Standort seien keine Fälle bekannt, bei denen Therapeuten „von aktuellen beziehungsweise fortgesetzten Missbrauchshandlungen Kenntnis erhielten“, sagt Sprecher Tobias Pott. Seit Projektbeginn 2014 habe es keine Rückfälle „in Form von strafbaren sexuell-missbräuchlichen Übergriffshandlungen“gegeben. Bislang sei es daher auch nicht notwendig gewesen, Jugendämter oder etwa die Polizei einzuschalten. Die Evaluation des bundesweiten Netzwerks unterstützt die Uniklinik als „zentrales Anliegen“zur bestmöglichen „Absicherung der Wirksamkeit und Unschädlichkeit des Therapieansatzes.“
Zudem verweist Pott auf die Erfolgsquote des Programms in Düsseldorf. Zu Beginn der Behandlung hätten alle Patienten angegeben, kinderpornografische Darstellungen konsumiert zu haben – nach dem Ende der Therapie seien es nur noch 30 Prozent gewesen. Ziel sei es, „ein umfassendes und effektives Repertoire an Kontroll- und Rückfallpräventionsstrategien“
im Umgang mit Kindern zu entwickeln.
Einer Sprecherin des Netzwerks zufolge, das bundesweit elf Standorte hat, greift darüber hinaus ein Stufenplan, wenn eine potentielle oder tatsächliche Gefährdung eines Kindes bekannt wird. Dieser sehe unter anderem eine medikamentöse Behandlung und die räumliche Trennung der betreffenden Personen vor. Auch das Einschalten von Polizei und Jugendamt sei mit Zustimmung des Patienten grundsätzlich denkbar. Die Pilotstudie aus Berlin zeige zudem zwar eine Rückfallquote von 20 Prozent – diese beziehe sich aber lediglich auf eine Gruppe von 25 Patienten, die zwischen 2005 und 2011 an der Charité in Therapie waren. Von diesen hätten fünf danach angegeben, „dass es im Behandlungszeitraum erneut zu sexuell grenzverletzendem Verhalten gegenüber Kindern gekommen war“. Dies sei den Therapeuten aber nicht offenbart worden. Das Netzwerk bekenne sich „unmissverständlich zum Kinderschutz“. Insgesamt seien derzeit mehr als 1000 Patienten im Projekt in Behandlung.
Das NRW-Wissenschaftsministerium, das das Projekt an der Uniklinik mit 289.500 Euro pro Jahr fördert, steht weiter hinter dem Projekt. Die im Land einzigartige Einrichtung habe für die Landesregierung „einen hohen Stellenwert“, sagt eine Sprecherin auf Anfrage. Jedes Kind, das durch das Projekt geschützt werden könne, und jeder potentielle Täter, der sich in Therapie begibt und diese erfolgreich abschließe, sei „ein Erfolg für unsere Gesellschaft“. Die Evaluation spielt aber auch für das Ministerium eine Rolle: Sollte sich zeigen, dass „der Präventionsansatz des Netzwerks zu keinen nennenswerten Erfolgen im Sinne der Zielsetzung führt“, werde man die Förderung einstellen – im Einvernehmen mit der Uniklinik.
Bislang haben in Düsseldorf 41 Patienten eine Therapie abgeschlossen. Fast 2000 Personen haben über das Projekt Kontakt aufgenommen, davon rund 750 Angehörige. Derzeit nehmen 79 Menschen an Therapiemaßnahmen teil, befinden sich in Beratungen oder auf der Warteliste.