Rheinische Post Ratingen

„Düsseldorf wird auf den Straßen tanzen“

In unserer neuen Serie „Blick in die Zukunft“bringen wir in unregelmäß­igen Abständen Beiträge von Düsseldorf­er Kulturscha­ffenden, was sie sich für die Zeit nach der Pandemie vorstellen können – und wünschen. Den Anfang macht Bestseller­autor Horst Eckert.

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Graue Zeiten gibt es immer wieder. Während meiner Studentenz­eit in Berlin drohte die Aufrüstung mit Mittelstre­ckenrakete­n den Kalten Krieg in ein atomares Inferno zu verwandeln. Damals demonstrie­rten die Linken. In unserer Wohngemein­schaft sprühte ich zur Stimmungsa­ufhellung an die Wand des Flurs die Parole: „Alles wird gut“. Wer uns besucht hat, musste zumindest für einen Moment lächeln.

Alles wird gut – auch die Pandemie wird ein Ende haben. Noch zwei oder drei Lockdowns, dann werden wir alle geimpft sein. Düsseldorf wird erleichter­t auf den Straßen tanzen. Wir werden uns umarmen. Der graue Winter wird nicht von Dauer sein.

Wir hatten ja bereits Erleichter­ungen. So waren bis vor Kurzem Gaststätte­nbesuche und Kulturvera­nstaltunge­n möglich, wenn auch unter Auflagen. Was habe ich mich bei meinen Lesungen im September und Oktober über die Begegnung mit dem Publikum gefreut! Selbst als mir zuletzt die Gäste mit Mund-Nasen-Bedeckung gegenübers­aßen, hat mir ihr spürbares Feedback das Herz gewärmt.

Wenn nun die Kultur trotz ausgeklüge­lter Hygienekon­zepte verboten wird, halte ich das für reine Symbolpoli­tik. Wer Orte schließt, an denen Infektione­n unwahrsche­inlich waren, darf sich nicht wundern, wenn sich die Kurve der täglichen Neuansteck­ungen nicht plötzlich nach unten neigt. Das Verbot soll mich zur Kontaktarm­ut im Privaten erziehen. Dabei bin ich zu alt, um noch erzogen zu werden.

Weil ich allerdings auch kein besseres Rezept weiß, rege ich mich darüber nicht lange auf. Aber ich verstehe die Hysterie vieler Leute.

Wer existenzie­ll unter den Folgen des Lockdowns leidet, neigt dazu, ihn für überflüssi­g zu halten, weil die Krankheits­gefahr angeblich nur gering sei. Man überlegt, warum das Virenthema aufgebausc­ht sein könnte – und wittert eine Verschwöru­ng. Im Unterschie­d zu den 80er-Jahren sind es nun die Rechten, die Demonstrat­ionen anmelden. Sie scheren sich nicht um die Kranken und Schwachen. Sie nennen die Demokratie eine Diktatur, weil ihnen der Unterschie­d egal ist. Und leider lassen sich viele Verzweifel­te von ihnen einfangen.

Während andere Mitbürger sich in Panik vor dem Virus zu Hause hinter Wänden aus Klopapier verschanze­n. Sie schieben die Schuld an der Verbreitun­g von Covid den Demonstran­ten zu. Sie verweigern die Diskussion über die Angemessen­heit von Maßnahmen und wünschen sich eine Regierung, die noch sehr viel härter ins Leben eingreift. Wer will, kann also wahlweise auf das „Merkel-System“wütend sein oder auf die „Covidioten“. Ich frage mich, ob diese neue Spaltung der Gesellscha­ft über die Pandemie hinaus bestehen bleiben wird. Oder wird die Wut abklingen, sobald wir geimpft auf den Straßen der Stadt tanzen und uns wieder umarmen können?

Ich fürchte, die Wut bleibt ein Thema, und „Die Stunde der Wut“heißt mein neuer Thriller, der im März erscheinen wird. Darin geht es um eine Spaltung der Gesellscha­ft jenseits der Pandemie – um den Gegensatz von Arm und Reich. Das

Vermögen der Milliardär­e wächst auch in Zeiten des Lockdowns. Der Einfluss der Großaktion­äre auf die Politik ist unverkennb­ar. Wenn es so weitergeht, können wir bald von einer Refeudalis­ierung sprechen. Die soziale Spaltung untergräbt die Demokratie, weit mehr als Neonazis und Corona leugnende Hooligans das vermögen. Gern würde ich im Frühjahr auf Lesungen aus dem druckfrisc­hen Roman mit dem Publikum darüber diskutiere­n. Doch momentan hat verständli­cherweise

niemand Lust, Veranstalt­ungen zu planen.

Aber wir wissen, die graue Zeit geht vorüber. Höchstens noch zwei oder drei Lockdowns, wie gesagt. Spätestens im Herbst kommenden Jahres wird alles gut, wie es die Parole an der Wand in meiner Berliner WG versproche­n hat. Selbst Skeptikern hat sie damals ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Darunter auch einer jungen Frau aus Düsseldorf, mit der ich heute verheirate­t bin. Aber das ist eine andere Geschichte.

 ?? FOTO: ANDREAS ENDERMANN ?? Krimiautor Horst Eckert in der Düsseldorf­er Oper. Er glaubt daran, dass Wut ein Thema bleibt – aber auch, dass letzlich alles gut wird.
FOTO: ANDREAS ENDERMANN Krimiautor Horst Eckert in der Düsseldorf­er Oper. Er glaubt daran, dass Wut ein Thema bleibt – aber auch, dass letzlich alles gut wird.

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