Rheinische Post Ratingen

„Kunst als Karriere ist ein Fluch“

Von ihrem Werk können nur wenige Künstler leben. Die Akademie hat in diesem Jahrgang dennoch nur vier Lehramtsst­udenten.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE HELGA MEISTER.

DÜSSELDORF Die Zahl der Künstler steigt permanent in NRW, aber ihr Verdienst hat kaum angezogen. Der diesjährig­e Jahrgang der Kunstakade­mie hat nur noch vier Studierend­e für das Künstleris­che Lehramt. Die Akademie ist die einzige Lehranstal­t in Düsseldorf, die Kunstlehre­r ausbildet.

Herr Krebber, zum Einstieg drei Fragen: Gibt es kein Bewusstsei­n mehr für das Risiko, freier Künstler zu sein? Wird der Ratschlag nicht befolgt, zunächst Kunsterzie­her zu werden, um eine Basis für das Leben zu haben? Ist die Ausbildung für Kunsterzie­her nicht gut genug? KREBBER Im Gegenteil, sie ist ideal. Man hat eine Eins-zu-Eins-Betreuung. Viele Professore­n kümmern sich um wenige Studierend­e. Aber die Akademie wird allein als Künstlersc­hmiede wahrgenomm­en. Darin sind wir wirklich sehr gut; das ist natürlich ein tolles Image. Aber es hat zur Folge, dass unsere KL-Ausbildung (Künstleris­che Lehre, Anm. d. Red.) zu wenig wahrgenomm­en wird. Das ist mir am eigenen Küchentisc­h widerfahre­n: Die Patentocht­er meiner Frau kam uns besuchen, weil sie sich für das künstleris­che Lehramt bewerben wollte. Aber sie schaute sich in Köln um, weil ihr Düsseldorf nicht einmal in den Sinn kam.

Piene und Uecker ließen sich als Lehrer ausbilden. Immendorff unterricht­ete jahrelang an einer Hauptschul­e. Wollen die Künstler heute nur noch frei sein?

KREBBER Früher hatten sie sicher eine pragmatisc­he Lebenseins­tellung. Sie wussten: Von Nichts kommt nichts. Selbst meine Eltern schlugen die Hände über den Kopf zusammen, als ihr Sohn Künstler werden wollte. Heute ist die Situation anders: Wir haben Eltern, die ihre Kinder bewundern und unterstütz­en, wenn sie Künstler werden wollen. Wir haben inzwischen im Orientieru­ngsbereich Elternverb­ot.

Was heißt das?

KREBBER Wir haben Väter mit dem Akkubohrer in der Hand erlebt, die vor der Prüfung auftauchte­n, um die Sachen der Tochter aufzuhänge­n. Gerade im Orientieru­ngsbereich sollten die Studierend­en aber etwas Abstand vom Elternhaus gewinnen. Es geht um Selbstvera­ntwortung, Lebensprax­is und Reife. Deshalb heißt ein Lernziel im ersten Jahr: „Zu Hause ausziehen“.

Sind die Studenten nur noch „Muttersöhn­chen“?

KREBBER Nein, es liegt anders: Wer sich nicht selbst überschätz­t, kann kein Künstler werden. Ohne ein gesundes Sendungsbe­wusstsein wird es schwierig. Ich sage gern: „Use your illusions“, nutze deine Selbsttäus­chung.

Aber vergiss nicht, dass es dich täuschen kann. Früher gab es vielleicht mehr Bewusstsei­n für das Risiko, Kunst zu studieren. Jetzt sind sie eher der Überzeugun­g, dass ihnen die Eltern schon helfen werden.

Sieht die Jugend in der Kunst nur noch den wunderbare­n Beruf, in dem man unendlich viel Geld verdienen kann?

KREBBER Als ich Kunst studierte, bedeutete das noch den Ausstieg aus dem bürgerlich­en Leben. Heute ist Kunst auch eine Karriere. Und das ist ein Fluch. Ich hatte noch Angst, dass ich mir keine Unterhose mehr leisten könnte. Diese Existenzän­gste sind vielleicht noch da, aber es wird schon irgendwie gehen. Der Hype um die zeitgenöss­ische Kunst findet seinen Niederschl­ag darin, dass Leute meinen, daran teilhaben zu können. Sie wollen nicht sehen, dass die Einkommen in der Kunst extrem ungleich verteilt sind: Ganz wenige haben ganz viel, ganz viele haben ganz wenig. Die wenigen Spitzensta­rs überstrahl­en alles andere und lassen uns die Mehrheit vergessen.

Der Beruf des Pädagogen wäre ein Ausweg?

KREBBER Ich möchte die Kunsterzie­hung nicht allein als einen Job zur Existenzsi­cherung sehen. Es ist sinnvoll und erfüllend, sich mit Kunst zu beschäftig­en und das an den Nachwuchs weiterzuge­ben. Aber wer es pragmatisc­h sehen will, auch gut: Jobben müsst ihr sowieso, dann macht zumindest etwas Sinnvolles, als Kunstlehre­r.

Was hindert potenziell­e Studierend­e daran?

KREBBER Das Studium bedeutet sehr viel mehr Arbeit. Die KL ist eine andere Herausford­erung als das bloße Kunststudi­um. Man hat weder Zeit, sich richtig auf seine Kunst zu konzentrie­ren, noch die Zeit für die anderen Fächer. Aber gerade das macht KL-Studenten so stark, dass sie sich strukturie­ren können. Sie haben mehr auf dem Kasten. Sie stecken die freien Studierend­en in die Tasche, sie sind vor allem die besseren Gesprächsp­artner. Sie kommen über ihre Organisati­onsfähigke­it plötzlich zu einem besseren künstleris­chen Ausdruck. Der Druck, den wir auf sie machen, hilft ihnen nachher.

Nun könnte man den Lehrerberu­f auch auf einer Universitä­t studieren. Wäre das eine Alternativ­e? KREBBER Wer Kunst unterricht­en will, muss Kunst auch gelebt haben. Das kann er am Besten auf einer Kunstakade­mie. Er muss aber auch die These überwinden, dass das Künstlerle­ben nur ideal ist. Nach dem bloßen Lustprinzi­p wird im späteren Leben nicht mehr gefragt.

Daraus folgt?

KREBBER Ich plädiere dafür, dass jeder sein eigener Mäzen ist. Das macht unabhängig. Als Künstler geht es nach wie vor darum, frei zu sein. Das Lehramt ist dazu ein passabler Weg. Genügend künstleris­che Vorfahren haben es auch geschafft, Kunst und Lehramt in den Anfängen zu verbinden. Vielleicht sind sie gerade deshalb so gute Künstler geworden. Also: Bewerbt Euch bei uns!

 ?? FOTO: MANFRED FÖRSTER ?? Gereon Krebber ist Bildhauer und Professor für den Orientieru­ngsbereich der Kunstakade­mie Düsseldorf.
FOTO: MANFRED FÖRSTER Gereon Krebber ist Bildhauer und Professor für den Orientieru­ngsbereich der Kunstakade­mie Düsseldorf.

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