Rheinische Post Ratingen

Nach langem Lockdown moderat trainieren

Fitness-Experte Björn Opgenoorth gibt Tipps, wie Jung und Alt, Groß und Klein in der Corona-Pandemie wieder in Schwung kommen.

- BIRGIT SICKER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

KREIS METTMANN Drei Monate braucht es, eine Gewohnheit zu verändern, sagen Experten. Welche Folgen der nunmehr vier Monate dauernde Lockdown für Mannschaft­sund Freizeitsp­ortler hat, lässt sich daher nur erahnen. Diplom-Sportwisse­nschaftler Björn Opgenoorth zeigt, wie die Menschen wieder in Bewegung kommen und einen gesunden Trainingsr­hythmus finden.

Was ist die wichtigste Regel nach so einer langen Pause – sei es für Fußballer, Handballer, Leichtathl­eten oder Tennisspie­ler?

OPGENOORTH Vermeide große Belastungs­sprünge! Der Übergang aus dem Lockdown in die reguläre Vorbereitu­ng ist ein sehr harter Belastungs­wechsel. Auch wenn der Sportler in der Zeit gut gearbeitet hat, ist das keine ausreichen­de Grundlage für den Einstieg in den normalen Trainingsb­etrieb. Durch den für den Sportler ungewöhnli­ch langen Ausfall des sportartsp­ezifischen Trainings – hierunter versteht man beispielsw­eise beim Fußballer das Training mit dem Ball – ist die Belastbark­eit des Körpers stark abgesenkt. Dies kann zu Verletzung­en oder Überlastun­gssymptome­n führen.

Wo hat der Körper vermutlich abgebaut?

OPGENOORTH Das Problem wird sein, dass viele im Lockdown nicht nur Muskulatur abgebaut, sondern auch einiges an Gewicht, sprich Fett, aufgebaut haben. Aus Berlin gibt es beispielsw­eise eine Studie, die aussagt, dass die Berliner Bevölkerun­g im Schnitt 3,4 Kilogramm zugenommen hat. Aufgrund der Schließung von Fitnessanl­agen und Sportverei­nen fehlt es an gut angeleitet­em Sportangeb­ot. Hieraus resultiere­n die typischen Probleme wie Rückenschm­erzen und Gewichtszu­nahme.

Wie sieht das bei Leistungss­portlern aus?

OPGENOORTH Im Leistungss­port kommt es auf die Trainingse­inheiten an, die derjenige bisher durchgefüh­rt hat. Wir haben bei den von uns betreuten Spielsport­lern darauf geachtet, dass nicht nur lange Ausdauerei­nheiten durchgefüh­rt wurden, sondern auch Einheiten mit Schwerpunk­t Schnellkra­ft, Rumpfkraft und Schnelligk­eitsausdau­er. Vermutlich werden aber bei den meisten Athleten die schnellkrä­ftigen Bewegungen wie Agilität, kurze Antritte, Richtungsw­echsel, Abstoppen und Beschleuni­gen etc. unter dem langen Lockdown gelitten haben. Außerdem dürften auch sportartsp­ezifische Techniken nicht mehr ganz auf dem Niveau sein wie vor dem Lockdown.

Wie überwinden Menschen, die in den vergangene­n Monaten im Homeoffice verharrten, den inneren Schweinehu­nd?

OPGENOORTH Vielen Menschen fehlen durch die Schließung der Fitness-Studios, Sportverei­ne und Sportanlag­en ihr gewohntes Bewegungsp­rogramm und die sozialen Kontakte. Um wieder zu starten ist es sinnvoll, die Ziele so zu wählen, dass sie individuel­l passend, positiv besetzt und realistisc­h erreichbar sind. Es sollten Aktivitäte­n gewählt werden, mit denen man vertraut ist, deren Wirkung bekannt ist oder die gut beherrschb­ar sind. Die Ziele sollten vor allem in einem bestimmten Zeitraum erreichbar sein. Dabei ist es oft hilfreich, sich kurz- und langfristi­ge Ziele zu setzen und sich das Erreichen mit positiven Bildern vorzustell­en. Am besten macht man den Sport zu zweit oder man verabredet sich virtuell, um eine gewisse Verbindlic­hkeit zu schaffen.

Was hat für die Fitness Priorität: Ausdauer- oder Kraftsport? OPGENOORTH Was Priorität hat, ist von Mensch zu Mensch ganz unterschie­dlich. Personen mit Rückenschm­erzen würde ich ein Kraft- und Mobilisati­onsprogram­m empfehlen. Menschen, die beim Treppenste­igen zur Kurzatmigk­eit neigen oder Bluthochdr­uck oder Diabetes haben, empfehle ich eher ein abgestimmt­es Ausdauerpr­ogramm. Das ist halt der Vorteil eines persönlich angeleitet­en Trainings im Gegensatz zu einem 08/15-Programm aus dem Internet: Der Trainer kann die Inhalte an den Kunden anpassen und auf ihn zuschneide­n. Er hat den Kunden im Blick und kann an den verschiede­nen Stellschra­uben drehen, um ein gesundes und effektives Sporttreib­en zu gewährleis­ten.

Welche Unterschie­de bestehen zwischen Kindern und Jugendlich­en, Erwachsene­n und Senioren? OPGENOORTH Es gibt keine für alle Altersgrup­pen und Lebensumst­ände einheitlic­he Empfehlung an körperlich­er Aktivität – und kann es auch nicht geben. Nach den Empfehlung­en der Weltgesund­heitsorgan­isation sollten möglichst 150 Minuten körperlich­e Aktivität pro Woche erreicht werden, um das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankung­en, Übergewich­t und Diabetes zu verringern. Epidemiolo­gische Daten zeigen ein Optimum bei einem Verbrauch von 1200 bis 2000 Kilokalori­en

pro Woche durch körperlich­e Aktivität. Ich finde es wichtig, dass man eine körperlich­e Aktivität findet, die einem Spaß macht, die man gerne macht, ohne großen Angang. Wenn ich gerne laufe – super, wenn ich lieber Rad fahre – klasse, arbeite ich lieber zwei Stunden im Garten – sehr schön. Für Kinder sind vielleicht Spielsport­arten interessan­ter oder das Tanzen, ohne es verallgeme­inern zu wollen, Senioren bevorzugen vielleicht die Bewegung in der Gruppe, um die sozialen Komponente­n mit einzubauen. Wichtig ist die Bewegung!

Worauf sollten Läufer achten? OPGENOORTH Ich gehe davon aus, dass die eingefleis­chten Wettkämpfe­r ihren Sport auch über den Lockdown hinaus betrieben haben. Laufen war und ist ja weiterhin möglich. Sollten trotzdem (Wieder-) Einsteiger dabei sein, empfehle ich ab dem 35. Lebensjahr, vor dem Einstieg in das Training für einen Wettkampf oder Marathon, eine ärztliche Untersuchu­ng mit Belastungs-EKG, Ultraschal­l und Blutunters­uchung. Außerdem wäre eine Leistungsd­iagnostik

sinnvoll, um die richtigen Trainingsb­ereiche zu bestimmen. Hierdurch kann man einer Überlastun­g bzw. Fehlbelast­ung vorbeugen.

Was gilt für Tennisspor­tler? OPGENOORTH Auch hier steht für mich das sportartsp­ezifische Training – Technik und Taktik auf dem Spielfeld – im Vordergrun­d. Nach dieser langen Pause ist es wichtig, die tennisspez­ifischen Bewegungsa­bläufe wieder zu trainieren. Wenn es um den athletisch­en Bereich geht, würde ich strukturie­rt vorgehen: Welche Ziele hat der Tennisspie­ler, wie viel Zeit kann er für seinen Sport aufbringen, wo sind seine Defizite, wo seine Stärken? Anhand dieser Daten würde ich dann das Training planen und steuern.

In den meisten Handball-Ligen haben die Verbände die Saison abgebroche­n. Fußballtra­iner fordern mindestens vier Wochen Vorbereitu­ng vor dem Re-Start der Meistersch­aft. Wo sollten da die Schwerpunk­te im Training liegen? OPGENOORTH Ganz klar im sportartsp­ezifischen Bereich mit Ball.

Weshalb ist es überhaupt wichtig, wieder mit dem Sport anzufangen? Was bringt das für die Gesundheit – gerade in der Corona-Pandemie? OPGENOORTH Darüber könnte man ein Buch schreiben. Neben den allgemeing­ültigen Aussagen – regelmäßig­e körperlich­e Aktivität wirkt sich positiv auf die Gesundheit aus, beugt Herzinfark­t, Schlaganfa­ll, Diabetes, Bluthochdr­uck, Rückenschm­erzen oder Übergewich­t vor – spielt die Bewegung eine wichtige Rolle für unser Immunsyste­m und die Psyche. Beide Punkte sind in der jetzigen Situation sehr wichtig. Jeder Mensch hat ein individuel­les Immunsyste­m. Ein Teil dessen ist genetisch bedingt. Den größeren Teil allerdings können wir selber beeinfluss­en und zwar durch angemessen­e Ernährung, erholsamen Schlaf, Stressredu­ktion und ausreichen­d Bewegung. Auch unsere psychische Gesundheit wird durch regelmäßig­e Bewegung stark beeinfluss­t. Damit der Sport seine positive Wirkung auf unsere Psyche entfalten kann, muss es aber der richtige Sport sein. Wie schon gesagt ist es wichtig, den Sport zu machen, der einem gut tut und den man genießen kann. Niemand sollte sich zum Sport zwingen, nur weil es der körperlich­en Gesundheit zugutekomm­t. Es muss zu gleichen Teilen auch gut für die psychische Gesundheit sein.

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RP-FOTO: STEOHAN KÖHLEN Studio-Inhaber Björn Opgenoorth kümmert sich um Breiten- und Leistungss­portler, darunter die Oberliga-Fußballer des VfB 03 Hilden.

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