Zum ersten Mal könnte eine Frau Vorsitzende des wichtigsten deutschen Ökonomen-Gremiums werden. Doch es gibt Widerstände.
DÜSSELDORF Es ist die Stunde der Ökonomen. Nach dem Einbruch der Wirtschaft durch die Corona-Krise weltweit und auch in Deutschland im vergangenen Jahr, sind die Aussichten im zweiten Jahr der Pandemie alles andere als gut. Der Rat der Wirtschaftswissenschaft ist also dringend gefragt. Doch kurz vor der Präsentation eines Sondergutachtens zur Konjunktur streiten sich die Wirtschaftsweisen um die Führung in diesem wichtigen Gremium. Die Spitze ist frei geworden, seit sich die SPD geweigert hat, dem bisherigen Vorsitzenden, dem marktliberalen Freiburger Professor Lars Feld eine weitere Amtszeit zuzubilligen. Das hat zu einem Koalitionsstreit über die personelle Besetzung im Rat gesorgt, die Stelle Felds bleibt bis zur Bundestagswahl unbesetzt. Dafür müssen die Wirtschaftsweisen nun selbst einen neuen Chef oder eine neue Chefin bestimmen.
Und die sind sich nicht einig, wie man aus Kreisen in der Hauptstadt hört, die mit den Vorgängen vertraut sind. Die Beteiligten selbst geben sich sehr zurückhaltend. Zwei Fraktionen in der vierköpfigen Gruppe stehen sich jedenfalls gegenüber. Doch es ist keiner der üblichen Machtkämpfe um die Spitze einer wichtigen Institution. Es ist vielmehr ein exemplarischer Streit darüber, wie selbstverständlich und gewünscht es in einem eher traditionell konservativen Gremium ist, dass auch eine Frau an der Spitze steht – so wie es in der Politik und in anderen Teilen der Gesellschaft längst üblich ist. Inzwischen gibt es seit dem vergangenen Jahr erstmals in der Geschichte des Rats sogar zwei weibliche Mitglieder, Veronika Grimm von der FriedrichAugust-Universität Erlangen-Nürnberg und Monika Schnitzer von der Ludwig-Maximilian-Universität in München.
Was liegt also näher, als eine der beiden zur neuen Chefin zu machen? Zumal beide über eine sehr gute wissenschaftliche Reputation verfügen und wiederholt im Ausland geforscht und gelehrt haben, Grimm an der renommierten Universität Leuven in Belgien und im spanischen Alicante, Schnitzer gar am Massachussets Institute for Technology und den weltbekannten US-Universitäten Harvard und Stanford. Beide haben wichtige Beiträge in renommierten Fachzeitschriften verfasst und wertvolle Forschungsarbeiten abgeliefert, Schnitzer gar in der American Economic Review, die im internen ökonomischen Ranking auf Platz eins steht. Allerdings hat auch der Dienstälteste des Gremiums, der Finanz- und Geldexperte Volker Wieland, Anspruch auf den Vorsitz angemeldet.
Der Frankfurter Professor, der von den Arbeitgebern in das Gremium entsandt wurde, hat sich dafür die Unterstützung der Ökonomin Grimm gesichert. Damit bliebe vorerst nur Schnitzer als Frau übrig. Hinter ihr steht der von den
Gewerkschaften berufene Sachverständige Achim Truger. Daraus folgt nach dem Abgang Felds ein Patt von zwei gegen zwei im normalerweise fünfköpfigen Rat. Weil auch Wieland erkannt hatte, dass es Zeit für eine Frau an der Spitze der Wirtschaftsweisen sein könnte, zeigt er sich nun auch offen für eine Lösung mit Grimm. Eine verfahrene Situation.
Anders als bei der verweigerten Vertragsverlängerung für den bisherigen Chef Feld geht es beim neuen Konflikt nur am Rande um Politik und Parteiinteressen. Denn alle Beteiligten sind pragmatisch und problemorientiert und lassen sich nicht so leicht einem politischen Lager zuordnen. Es ist eher der klassische Reflex, Frauen den Zugang zu wichtigen Ämtern zu verwehren – sei es aus Gründen der eigenen persönlichen Karriere oder aus Vorbehalten gegen bestimmte frauenpolitische Positionen. Gerade die Münchner Forscherin Schnitzer eckt mit solchen Ideen bisweilen an, auch wenn das nicht ganz zu ihren sonst eher traditionellen Ansichten in der Wirtschaftspolitik passt.
Die Wirtschaftsweisen sind jetzt im Zugzwang. Sie müssen aus dem Patt herausfinden. Angedacht ist schon eine Doppelspitze – entweder der beiden Frauen oder mit dem dienstältesten Mitglied Wieland als Partner. Dass sich das Paar Wieland/ Grimm durchsetzen könnte, gilt indes als wenig wahrscheinlich, weil die andere Gruppe das nicht akzeptieren würde. Wahrscheinlicher ist eine Doppelspitze mit Wieland und Schnitzer, was freilich die Frage aufwirft, ob ein Vier-Personen-Gremium zwei Vorsitzende braucht. Zwei Frauen an der Spitze wäre so etwas wie die Ironie der Geschichte. Dann würde das ursprüngliche Nein zu einer Frau zur ersten weiblichen Doppelspitze führen. Bis zum Mittwoch, wenn die vier Wirtschaftsweisen ihr Gutachten vorstellen wollen, werden sie sich womöglich noch nicht gütlich einigen. Dann müssen sie lediglich bestimmen, wer das wichtige Gutachten der Kanzlerin übergibt.