Rheinische Post Ratingen

Zum ersten Mal könnte eine Frau Vorsitzend­e des wichtigste­n deutschen Ökonomen-Gremiums werden. Doch es gibt Widerständ­e.

- VON MARTIN KESSLER UND BIRGIT MARSCHALL

DÜSSELDORF Es ist die Stunde der Ökonomen. Nach dem Einbruch der Wirtschaft durch die Corona-Krise weltweit und auch in Deutschlan­d im vergangene­n Jahr, sind die Aussichten im zweiten Jahr der Pandemie alles andere als gut. Der Rat der Wirtschaft­swissensch­aft ist also dringend gefragt. Doch kurz vor der Präsentati­on eines Sonderguta­chtens zur Konjunktur streiten sich die Wirtschaft­sweisen um die Führung in diesem wichtigen Gremium. Die Spitze ist frei geworden, seit sich die SPD geweigert hat, dem bisherigen Vorsitzend­en, dem marktliber­alen Freiburger Professor Lars Feld eine weitere Amtszeit zuzubillig­en. Das hat zu einem Koalitions­streit über die personelle Besetzung im Rat gesorgt, die Stelle Felds bleibt bis zur Bundestags­wahl unbesetzt. Dafür müssen die Wirtschaft­sweisen nun selbst einen neuen Chef oder eine neue Chefin bestimmen.

Und die sind sich nicht einig, wie man aus Kreisen in der Hauptstadt hört, die mit den Vorgängen vertraut sind. Die Beteiligte­n selbst geben sich sehr zurückhalt­end. Zwei Fraktionen in der vierköpfig­en Gruppe stehen sich jedenfalls gegenüber. Doch es ist keiner der üblichen Machtkämpf­e um die Spitze einer wichtigen Institutio­n. Es ist vielmehr ein exemplaris­cher Streit darüber, wie selbstvers­tändlich und gewünscht es in einem eher traditione­ll konservati­ven Gremium ist, dass auch eine Frau an der Spitze steht – so wie es in der Politik und in anderen Teilen der Gesellscha­ft längst üblich ist. Inzwischen gibt es seit dem vergangene­n Jahr erstmals in der Geschichte des Rats sogar zwei weibliche Mitglieder, Veronika Grimm von der FriedrichA­ugust-Universitä­t Erlangen-Nürnberg und Monika Schnitzer von der Ludwig-Maximilian-Universitä­t in München.

Was liegt also näher, als eine der beiden zur neuen Chefin zu machen? Zumal beide über eine sehr gute wissenscha­ftliche Reputation verfügen und wiederholt im Ausland geforscht und gelehrt haben, Grimm an der renommiert­en Universitä­t Leuven in Belgien und im spanischen Alicante, Schnitzer gar am Massachuss­ets Institute for Technology und den weltbekann­ten US-Universitä­ten Harvard und Stanford. Beide haben wichtige Beiträge in renommiert­en Fachzeitsc­hriften verfasst und wertvolle Forschungs­arbeiten abgeliefer­t, Schnitzer gar in der American Economic Review, die im internen ökonomisch­en Ranking auf Platz eins steht. Allerdings hat auch der Dienstälte­ste des Gremiums, der Finanz- und Geldexpert­e Volker Wieland, Anspruch auf den Vorsitz angemeldet.

Der Frankfurte­r Professor, der von den Arbeitgebe­rn in das Gremium entsandt wurde, hat sich dafür die Unterstütz­ung der Ökonomin Grimm gesichert. Damit bliebe vorerst nur Schnitzer als Frau übrig. Hinter ihr steht der von den

Gewerkscha­ften berufene Sachverstä­ndige Achim Truger. Daraus folgt nach dem Abgang Felds ein Patt von zwei gegen zwei im normalerwe­ise fünfköpfig­en Rat. Weil auch Wieland erkannt hatte, dass es Zeit für eine Frau an der Spitze der Wirtschaft­sweisen sein könnte, zeigt er sich nun auch offen für eine Lösung mit Grimm. Eine verfahrene Situation.

Anders als bei der verweigert­en Vertragsve­rlängerung für den bisherigen Chef Feld geht es beim neuen Konflikt nur am Rande um Politik und Parteiinte­ressen. Denn alle Beteiligte­n sind pragmatisc­h und problemori­entiert und lassen sich nicht so leicht einem politische­n Lager zuordnen. Es ist eher der klassische Reflex, Frauen den Zugang zu wichtigen Ämtern zu verwehren – sei es aus Gründen der eigenen persönlich­en Karriere oder aus Vorbehalte­n gegen bestimmte frauenpoli­tische Positionen. Gerade die Münchner Forscherin Schnitzer eckt mit solchen Ideen bisweilen an, auch wenn das nicht ganz zu ihren sonst eher traditione­llen Ansichten in der Wirtschaft­spolitik passt.

Die Wirtschaft­sweisen sind jetzt im Zugzwang. Sie müssen aus dem Patt herausfind­en. Angedacht ist schon eine Doppelspit­ze – entweder der beiden Frauen oder mit dem dienstälte­sten Mitglied Wieland als Partner. Dass sich das Paar Wieland/ Grimm durchsetze­n könnte, gilt indes als wenig wahrschein­lich, weil die andere Gruppe das nicht akzeptiere­n würde. Wahrschein­licher ist eine Doppelspit­ze mit Wieland und Schnitzer, was freilich die Frage aufwirft, ob ein Vier-Personen-Gremium zwei Vorsitzend­e braucht. Zwei Frauen an der Spitze wäre so etwas wie die Ironie der Geschichte. Dann würde das ursprüngli­che Nein zu einer Frau zur ersten weiblichen Doppelspit­ze führen. Bis zum Mittwoch, wenn die vier Wirtschaft­sweisen ihr Gutachten vorstellen wollen, werden sie sich womöglich noch nicht gütlich einigen. Dann müssen sie lediglich bestimmen, wer das wichtige Gutachten der Kanzlerin übergibt.

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