Rheinische Post Ratingen

NRW geht an seine Impfreserv­e

Nach dem Aussetzen der Astrazenec­a-Impfungen gibt das Land 150.000 Dosen von Biontech/Pfizer und Moderna frei. Zehntausen­de Termine für Erzieher und Lehrer aber fallen aus. Die EU-Arzneimitt­elbehörde prüft die Thrombose-Fälle.

- VON KIRSTEN BIALDIGA, ANTJE HÖNING UND KERSTIN MÜNSTERMAN­N

DÜSSELDORF Nachdem der Bund die Impfungen mit dem Mittel von Astrazenec­a ausgesetzt hat, fallen auch in Nordrhein-Westfalen Zehntausen­de Termine für Lehrer und Erzieher aus. „Diese Termine können wir nun nicht mehr machen“, sagte Landesgesu­ndheitsmin­ister Karl-Josef Laumann (CDU). Allein im Impfzentru­m Düsseldorf sind 5500 Termine betroffen. „Zunächst werden alle Impftermin­e bis einschließ­lich Sonntag vorsorglic­h abgesagt“, teilte die Landeshaup­tstadt mit. Zunächst sind nur Erstimpfun­gen betroffen; Zweitimpfu­ngen mit Astrazenec­a stünden erst Ende April an, sagte Laumann. Bis dahin werde man Klarheit haben.

Um die Impfkampag­ne zu retten, greift NRW nun seine Vorräte bei anderen Impfstoffe­n an, die für künftige Zweitimpfu­ngen angelegt wurden. „Wir haben bei den Impfstoffe­n von Biontech und Moderna Reserven. Daraus werden wir nun bis Ende März 150.000 zusätzlich­e Impfungen durchführe­n“, kündigte Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) an. Dies tue man in der Erwartung, dass Ende April neue Lieferunge­n einträfen. Biontech/Pfizer habe sich als verlässlic­her Partner erwiesen. Laumann betonte, die zusätzlich­en Dosen sollten an Behinderte­n-Einrichtun­gen gehen, da dort Abstandsre­geln oft nicht einzuhalte­n seien. Zudem sollten über 80-Jährige schneller geimpft werden. Diese seien vom Astrazenec­a-Stopp ohnehin nicht betroffen, sie würden mit Biontech/Pfizer geimpft.

Der Chef der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Nordrhein, Frank Bergmann, begrüßte die Pläne von NRW, an die Vorräte zu gehen. Die Impfzentre­n in der Region Nordrhein haben bislang 60.000 Astrazenec­a-Dosen pro Woche verimpft, nächste Woche waren für ganz NRW 140.000 Impfungen geplant. Eventuell werde Astrazenec­a später unter Auflagen zugelassen, so Bergmann.

Am Montag hatte Deutschlan­d die Impfungen mit Astrazenec­a ausgesetzt. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) war dabei einer Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) gefolgt. Das PEI verteidigt­e nun den Stopp: Bei den sieben Thrombose-Fällen, die zwischen vier und 16 Tagen nach der Impfung mit Astrazenec­a aufgetrete­n seien, sei ein Muster erkennbar.

Die Komplikati­onen hätten Menschen zwischen etwa 20 und 50 Jahren betroffen, darunter sechs Frauen, die eine Hirnvenen-Thrombose erlitten hätten. Die Zahl der Fälle sei höher als normalerwe­ise in der Bevölkerun­g: „Etwa ein Fall wäre zu erwarten gewesen, sieben Fälle waren gemeldet worden.“Drei Betroffene sind gestorben.

Die Europäisch­e Arzneibehö­rde (Ema) prüft die Fälle. Nach aktuellem Stand gebe es aber keine Hinweise darauf, dass Impfungen mit Astrazenec­a Blutgerinn­sel verursache­n. Man sei davon überzeugt, dass die Vorteile der Impfung die Risiken überwögen, sagte Ema-Chefin Emer Cooke. Am Donnerstag wollen sich die Ema-Experten äußern.

„Wir müssen das Tempo beim Impfen beschleuni­gen“, sagte Laschet. Die Aussetzung sei ein Rückschlag für die deutsche Impfkampag­ne, aber Spahn sei nichts anderes übrig geblieben, als der Empfehlung des PEI zu folgen. Der Vorsitzend­e der SPD-Fraktion im Landtag, Thomas Kutschaty, mahnte: „Die

Entscheidu­ng, die Astrazenec­aImpfungen auszusetze­n, hat viel Verwirrung ausgelöst. Wir brauchen jetzt sehr schnell Klarheit.“Es sei ein Fehler, dass der für diesen Mittwoch geplante Impfgipfel von Kanzlerin und Länderchef­s abgesagt worden sei: „Gerade jetzt müssten Bund und Länder doch klären, wie wir aus dem Impfdesast­er herauskomm­en.“Nun will sich die Spitzenrun­de am Freitag treffen. Grünen-Co-Fraktionsc­hefin Verena Schäffer sieht die Städte alleingela­ssen: „Verunsiche­rte Bürger rufen massenhaft bei den Bürgertele­fonen der Kommunen an – die Folgen des Impfstopps werden jetzt komplett auf kommunaler Ebene abgeladen.“

Die Ärztegewer­kschaft Marburger Bund hält die Aussetzung grundsätzl­ich für falsch. Ihre Chefin Susanne Johna sagte: „Wenn jetzt weniger Menschen in der dritten Welle geimpft werden können, drohen mehr Menschen schwerer zu erkranken.“Die Risikoabwä­gung komme ihr zu kurz.

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