Schneller impfen gegen den Lockdown
Der frühere Oberbürgermeister fordert, dass Beschränkungen nicht unverhältnismäßig lang aufrechterhalten werden.
Warum trägt der Bundesgesundheitsminister, wenn er nicht gerade redet, eigentlich eine FFP2-Maske? Bekanntlich hatte er sich bereits vor Monaten mit dem Coronavirus infiziert und ist längst wieder genesen. Jetzt hat er Antikörper und kann sich – zumindest mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – nicht mehr mit dem Virus anstecken. Und auf andere kann er das Virus auch nicht übertragen. Wie dem Bundesgesundheitsminister geht es mittlerweile knapp 2,5 Millionen Menschen in Deutschland, die nach einer Infektion mit dem Coronavirus wieder genesen sind. Und hinzu kommen – Stand 16. März – noch einmal mehr als 2,9 Millionen Menschen, die bereits zwei Impfungen erhalten haben; auch sie sind – jedenfalls nach menschlichem Ermessen – weder Corona-Gefährder noch -gefährdet. Ihnen eine Maskenpflicht aufzuerlegen, ist also offensichtlich unsinnig.
Aber nicht nur das. Genau so kann man sich fragen, weshalb Genesene und Geimpfte nicht wieder überall uneingeschränkt einkaufen können sollten, ins Restaurant gehen oder Kultur genießen. Immerhin dürfen Freiheitsbeschränkungen im liberalen Rechtsstaat nur so lange und in dem Umfang verfügt und aufrechterhalten werden, wie es der verfassungsrechtlich gebotene Schutz von Leben und Gesundheit erforderlich macht. Und insofern gibt es keinen Grund, weshalb Genesene und Geimpfte nicht wieder vollständige Normalität genießen sollten.
Allerdings: ein wenig „ungerecht“wäre das vielleicht doch. Denn nach der Coronavirus-Impfverordnung von Herrn Spahn werden prioritär die sogenannten „vulnerablen Gruppen“geimpft, also Personen, die im Falle einer Infektion einen schweren, womöglich sogar tödlichen Krankheitsverlauf zu befürchten hätten. Sie dürften, nachdem sie geimpft wurden, also wieder ein normales Leben genießen, während die Jungen und Gesunden nach wie vor von Maskenpflicht, Kontaktbeschränkungen, Home-Office, Homeschooling und Wechselunterricht etc. betroffen wären. Das wäre in der Tat nicht nur „ungerecht“, sondern sogar einigermaßen grotesk, wenn man bedenkt, dass die Jungen von einer Infektion mit dem Coronavirus eigentlich nichts zu befürchten haben – der Anteil der unter 20-jährigen an den Coronaopfern liegt bei unter 0,2 Promille!
Einen Ausweg aus diesem Dilemma
sollen nach der Vorstellung des Gesundheitsministers Corona-Schnelltests bieten. Gehen wir einmal – kontrafaktisch! – davon aus, diese Schnelltests stünden in ausreichender Menge zur Verfügung und funktionierten auch zuverlässig. Dann würde dies dazu führen, dass sich alle bislang nicht Erkrankten oder Geimpften mehrfach in der Woche testen ließen. Da der Krankheitsverlauf bei Jungen und Gesunden sehr häufig asymptomatisch ist, würde diese Reihentestung wahrscheinlich dazu führen, dass eine – möglicherweise gewaltige – Dunkelziffer
gehoben würde mit der Folge, dass die Zahl der entdeckten Infektionen zunächst einmal deutlich ansteigen würde – und damit auch die sogenannte „Inzidenz“. Und spätestens wenn diese einen Wert von 100 erreicht hat, soll nach den jüngsten Beschlüssen von Kanzlerin und Ministerpräsident(inn)en Schluss sein mit dem „normalen“Leben; dann gibt es den nächsten harten Lockdown.
Ein Ausweg aus dem Dilemma ist das natürlich nicht. Denn für die Genesenen und Geimpften sind die mit dem Lockdown verbundenen Freiheitsbeschränkungen offensichtlich unnötig und damit verfassungswidrig, und für die noch nicht Geimpften sind sie jedenfalls dann unverhältnismäßig, wenn die mit einer Infektion verbundene Gefahr beherrschbar ist. Dies aber dürfte mit Sicherheit der Fall sein, wenn alle Personen mit Impfpriorität 1 und 2, also die sogenannten „Vulnerablen“, geimpft sind. Denn für alle anderen sind die Gefahren einer Infektion so begrenzt, dass wir „mit dem Virus leben“können, ohne eine Überlastung des Gesundheitswesens befürchten zu müssen.
Man fragt sich nur: Warum nicht gleich so? Warum arbeiten wir uns an Schnelltests ab, die kaum in ausreichender Menge zur Verfügung stehen, ziemlich teuer und nicht hinreichend präzise sind und deren Ergebnis mit vertretbarem Aufwand kaum überprüfbar ist? Warum konzentrieren wir stattdessen die knappen Ressourcen einer offensichtlich ohnehin bereits überforderten Gesundheitsverwaltung nicht darauf, möglichst schnell die Risikogruppe zu impfen?
Ich denke, der Grund liegt auch darin, dass dies einem impliziten Eingeständnis gleichkäme, dass die Strategie des Lockdowns von Anfang an überzogen und falsch war. Wenn es möglich ist, die Risikogruppe, wie es in der Coronavirus-Impfverordnung
geschieht, genau zu beschreiben und vorrangig zu impfen, weshalb sollte es dann nicht möglich gewesen sein, diese Risikogruppe gezielt zu schützen?
Überall, wo dies zumindest in Ansätzen gemacht wurde, fanden sich sofort viele Freiwillige, die bereit waren, für Alte und Kranke Besorgungen zu übernehmen. Und viele alte Menschen haben – mit freundlicher Anleitung – gelernt, dass man im digitalen Zeitalter auch ohne körperlichen Kontakt miteinander kommunizieren und am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann. Es ist ein Armutszeugnis, nicht für unser Land, aber für diejenigen, die für den Lockdown verantwortlich sind, dass es nach ihrer Vorstellung offenbar leichter ist, auf den „autoritären Charakter“und die Lust am Befolgen von Regeln zu vertrauen, als an die Kraft einer solidarischen Gesellschaft zu appellieren. Mit den Folgen dieser verhängnisvollen Fehlentscheidung werden wir noch lange leben müssen. Und dabei geht es nicht nur um eine voraussichtlich dramatische Insolvenzwelle im Einzelhandel, der Gastronomie und im Veranstaltungswesen oder um den riesigen Schuldenberg, der durch staatliche Subventionen, Soforthilfen und Rettungsschirme aufgetürmt wurde. Wir werden unseren Kindern auch erklären müssen, weshalb wir ihnen ein Jahr ihrer Kindheit und Jugend genommen haben wegen eines Virus, das sie eigentlich gar nicht betraf.