Chinas Straße in die Welt
Es ist eines der ambitioniertesten und umstrittensten Großprojekte der Gegenwart – und eins, das unter der Corona-Pandemie gelitten hat: die Neue Seidenstraße. Vom Ausbau des Handelsweges, der bis Duisburg führt, hängt viel für China ab: Reichtum, Prestig
Der für gewöhnlich nüchterne und autoritäre Technokrat Xi Jinping gerät ins Schwärmen, wenn er auf sein Lieblingsprojekt zu sprechen kommt: „Wenn ich an die Glanzzeiten der Seidenstraße zurückdenke, kann ich das Echo der Kamelglocken hören, wie es von den Bergen hallt, sehe die Rauschwaden der Feuer, die Händler nachts in der Wüste entfachen“, entfährt es dem chinesischen Staatspräsidenten. Tatsächlich ist die als Seidenstraße bekannte Route der älteste und bedeutendste Handelsweg zwischen Asien und dem Mittelmeer. Die Route begann in Xian, der alten Kaiserstadt, und sie führte Richtung Nordwesten durch die Taklamakan-Wüste, über das Pamir-Gebirge ins heutige Afghanistan und schließlich durch Persien und Mesopotamien an das Mittelmeer. Bis dahin waren 6400 Kilometer zurückzulegen.
Einer der berühmtesten Reisenden der Seidenstraße war der Venezianer Marco Polo (1254–1324), dessen Berichte großen Einfluss auf Europa ausübten. Der Name „Seidenstraße“ist allerdings irreführend, denn Seide gehörte nicht zu den begehrtesten Produkten. Zwar war sie auch Teil des Handels, doch Porzellan, Keramik, Jade, Bronze, Lacke und Pelze waren die chinesischen Spitzenprodukte. In China wiederum waren vor allem Gold, Edelsteine und Glas gefragt. Ein ausgesprochen unerwünschtes Gut wurde im 14. Jahrhundert nach Europa eingeführt: Pestbakterien.
Die Verbindung war auch eine Route der Religionen. Islamische Eroberer zogen über die Seidenstraße nach Osten und vernichteten die überwiegend buddhistischen Reiche Zentralasiens innerhalb weniger Jahrhunderte. Die von den Taliban zerstörten und danach wieder aufgebauten Buddhastatuen von Bamian sind eine kleine Erinnerung an die buddhistische Epoche.
Heute dient der Blick in die Geschichte der Kommunistischen Partei Chinas als Legitimation für eine beispiellose Expansion. Dabei gibt sich Xi Jinping durchaus selbstlos: „Mit der Neuen Seidenstraße wollen wir den wirtschaftlichen Austausch weltweit verbessern und den Wohlstand aller Länder erhöhen. Es ist eine Straße für einen gemeinsamen, globalen Aufschwung. Die Fakten zeigen, dass die gemeinsamen Projekte nicht nur die Entwicklung vieler Ländern in der Welt fördern, sondern auch für China eine weitere Öffnung bedeuten.“
Die Dimensionen des Projekts schwanken zwischen visionär und größenwahnsinnig. Insgesamt 60 Staaten sind einbezogen und mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung. Im Wesentlichen geht es um Infrastrukturmaßnahmen wie den Bau oder Ausbau von Straßen, Eisenbahnen, Stromleitungen,