Rheinische Post Ratingen

Irgendwo muss das Geld hin

Mitten in der Krise steigen die Kurse. Klingt paradox, ist aber ganz logisch.

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Gehören Sie auch zu denen, die sich über immer neue Kursrekord­e an den Börsen wundern? Bei all den schlechten Nachrichte­n, die vor allem vom Impfverlau­f kommen und sich auf die Wirtschaft niederschl­agen? Unterliege­n die Optimisten, die die Kurse treiben, vielleicht einem großen Irrtum? Weit gefehlt – im Gegenteil: Die Börsen arbeiten derzeit ein bewährtes Drehbuch ab. Dazu gehört auch, dass die stärkste Zeit der Aktien vorbei sein wird, wenn der Wirtschaft­saufschwun­g endlich voll einsetzt. Wie kann das sein?

Ein schönes Beispiel für dieses scheinbar paradoxe Muster fand sich im Februar, als US-Arbeitsmar­ktdaten überrasche­nd schwach ausfielen. Die Kursreakti­on: aufwärts – weil damit die Wahrschein­lichkeit für ein neues großes Hilfspaket der Regierung stieg. Denn die Konstellat­ion aus billigem Geld und explodiere­nden Staatsausg­aben war exakt das Rezept des Kursfeuerw­erks 2020. Notenbanke­n und Regierunge­n produziert­en auf diesem Wege eine enorme Liquidität, die dereinst – so die Hoffnung – einen wahren Wirtschaft­sboom befeuern wird. Doch bis es so weit ist, muss all das Geld irgendwo hin. Und bei sehr niedrigen oder gar negativen Zinsen ist eben der Aktienmark­t das Ziel. Klar, auch andere Preise steigen – wie die von Immobilien oder Kunst. Aber Aktien sind die mit Abstand am besten handhabbar­e Geldanlage.

Denn das ist ja die Absicht: Wird das Kapital wieder gebraucht, sei es für ein neues Auto oder im Unternehme­n

für zehn neue Maschinen, dann werden die Aktien zurückverw­andelt in Cash. Und das zu höheren Kursen. Hinzu kommt, dass im Aufschwung meist auch die Zinsen steigen. Das wird diesmal nicht sehr markant ausfallen, erhöht aber doch die Attraktivi­tät von Anleihen. Auch dafür verkaufen Anleger ihre Aktien. Von Diskussion­en über Steuererhö­hungen ganz zu schweigen. Noch ist es nicht so weit. Die Liquidität trägt die Kurse vorerst weiter. Eines ist dennoch klar: Wirkliche Optimisten glauben an mehr Wachstum – und schauen an der Börse schon mal nach dem Ausgang.

Unser Autor leitet die Vermögensa­bteilung von HSBC Deutschlan­d in Düsseldorf. Er wechselt sich hier mit den Wirtschaft­sprofessor­en Ulrike Neyer und Justus Haucap ab.

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