Die Wiederauflage von „Wir schaffen das“
In ihrer Regierungserklärung stimmt die Kanzlerin kämpferische Töne an. Sie nimmt alle in die Verantwortung, das Virus zu besiegen.
BERLIN Einen Tag nach ihrer Entschuldigung wirkt Angela Merkel wie ausgewechselt. Bei ihrer Regierungserklärung am Donnerstag im Bundestag wiederholt die Kanzlerin ihre Bitte um Verzeihung für die „Osterruhe“nicht. Die CDU-Politikerin spricht nicht mehr von persönlichen Fehlern, sehr wohl aber von Missständen in Deutschland, die die Pandemie schonungslos offengelegt habe. Merkel, so scheint es, will nach vorne blicken, zurückfinden zu ihrem Prinzip geordneter Verhältnisse. Doch dafür, und das macht sie auch sehr deutlich, braucht sie Länder, Kommunen, Unternehmen und die Bürger gleichermaßen. Und so hält sie einen Tag nach ihrer denkwürdigen Selbstkritik eine kämpferische Rede zum Umgang mit der Corona-Pandemie.
„Die Monate der Pandemie haben gravierende Schwachstellen im Funktionieren unseres Gemeinwesens offengelegt“, sagt Merkel. Das gelte zum Beispiel für die Digitalisierung. „Wir müssen als föderales System hier besser und schneller werden.“Merkel hatte die Schuld an den Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz vom Montag auf sich genommen. Am Donnerstag nahm sie die Ministerpräsidenten wieder in in Pflicht. „Wenn wir uns ausruhen auf dem, was wir haben, reicht es nicht“, sagt die Kanzlerin. Bund, Länder und Kommunen müssten sagen, wo sie besser werden können. „Wo man noch schneller werden kann und flexibler, muss man es werden.“
Eindringlich und mit zusammengelegten Händen appelliert Merkel in ihrer Rede an die Menschen im Land, dass es das gemeinsame Ziel sein müsse, Tausende weitere Tote durch Covid-19 zu vermeiden. „Wenn bei der Frage, wie wir jetzt vorgehen, der Oster-Lockdown einzig und allein eine wirklich positive Resonanz bei den Intensivmedizinern gefunden hat, dann sehen Sie, wie groß dort die Sorge ist“, sagt die Kanzlerin. „Und es werden jetzt nicht mehr 90-Jährige sein, die in den Krankenhäusern liegen. Es werden 50-, 60- und 70-Jährige sein. Und das sind Menschen mit sehr vielen Jahren Lebenserwartung.“Zehn Prozent dieser Patienten trügen nach Einschätzung von Experten Langzeitfolgen davon. „Das heißt: Es lohnt sich, um jeden zu kämpfen, dass er die Infektion nicht bekommt“, sagt Merkel. „Und das ist unsere gemeinsame Aufgabe. Mit möglichst viel Freiheit für jeden, mit möglichst viel Normalität für jeden. Aber auch mit möglichst viel
Rücksicht darauf, dass nicht Tausende von Menschen noch sterben müssen.“Merkel betont: „Das muss das Ziel sein für die nächsten Wochen.“Merkel, die Mahnerin in der Corona-Pandemie, sie ist zurück.
Zugleich droht sie unverhohlen den Unternehmen mit einer Testpflicht. Auch am Arbeitsplatz müsse mehr getestet werden, fordert die Kanzlerin. Die Frist für die Selbstverpflichtung der Wirtschaft hierzu endet Anfang April. Der Bund werde dann eigene Erhebungen machen. „Und wenn nicht der überwiegende Teil der deutschen Wirtschaft – und das muss in die Richtung von 90 Prozent sein –, Tests seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern anbietet, dann werden wir mit regulatorischen Maßnahmen in der Arbeitsschutzverordnung dazu vorgehen.“Das werde das Kabinett am 14. April entscheiden, sagt Merkel.
Zum Ende ihrer Rede stimmt die Kanzlerin optimistischere Töne an. „Man kann auch nichts erreichen, wenn man immer nur das Negative sieht.“Es sei mit den Impfungen Licht am Ende des Tunnels sichtbar, auch wenn es noch einige Monate dauern werde. „Wir werden dieses Virus besiegen. Und deshalb bin ich ganz sicher, dass wir das schaffen werden.“Von der Bitte um Entschuldigung zur Wiederauflage von „Wir schaffen das“binnen 24 Stunden – Merkel hat noch lange nicht abgeschlossen mit ihrer Amtszeit, das wird an diesem Donnerstag klar.
Doch die Opposition spart nicht mit Kritik. Linken-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali wirft der Regierung „Chaos und leere Versprechungen“vor. Die Welle hätte ohne „klägliches Versagen“der Bundesregierung entschieden abgemildert, wenn nicht sogar vermieden werden können. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich sagt, er hätte sich von der Kanzlerin „mehr Mut“bei der Einbeziehung von Unternehmen in die Teststrategie gewünscht. Auch einen kleinen Seitenhieb gegen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) lässt sich der SPD-Politiker nicht entgehen. Der hatte mal gesagt, dass man wegen der Corona-Maßnahmen „einander viel verzeihen“müsse. Merkel habe um Entschuldigung gebeten, andere kündigten es nur an, stichelt Mützenich. Zu dem Zeitpunkt spricht Merkel publikumswirksam mit Spahn.
Und auch das gehört zu diesem Tag: Die Bundesregierung kassiert einen weiteren Beschluss aus der denkwürdigen Nacht der Ministerpräsidentenkonferenz und rückt ab von der Bitte nach rein virtuellen Gottesdiensten zu Ostern.