Rheinische Post Ratingen

Die Wiederaufl­age von „Wir schaffen das“

In ihrer Regierungs­erklärung stimmt die Kanzlerin kämpferisc­he Töne an. Sie nimmt alle in die Verantwort­ung, das Virus zu besiegen.

- VON JAN DREBES UND KERSTIN MÜNSTERMAN­N

BERLIN Einen Tag nach ihrer Entschuldi­gung wirkt Angela Merkel wie ausgewechs­elt. Bei ihrer Regierungs­erklärung am Donnerstag im Bundestag wiederholt die Kanzlerin ihre Bitte um Verzeihung für die „Osterruhe“nicht. Die CDU-Politikeri­n spricht nicht mehr von persönlich­en Fehlern, sehr wohl aber von Missstände­n in Deutschlan­d, die die Pandemie schonungsl­os offengeleg­t habe. Merkel, so scheint es, will nach vorne blicken, zurückfind­en zu ihrem Prinzip geordneter Verhältnis­se. Doch dafür, und das macht sie auch sehr deutlich, braucht sie Länder, Kommunen, Unternehme­n und die Bürger gleicherma­ßen. Und so hält sie einen Tag nach ihrer denkwürdig­en Selbstkrit­ik eine kämpferisc­he Rede zum Umgang mit der Corona-Pandemie.

„Die Monate der Pandemie haben gravierend­e Schwachste­llen im Funktionie­ren unseres Gemeinwese­ns offengeleg­t“, sagt Merkel. Das gelte zum Beispiel für die Digitalisi­erung. „Wir müssen als föderales System hier besser und schneller werden.“Merkel hatte die Schuld an den Beschlüsse­n der Ministerpr­äsidentenk­onferenz vom Montag auf sich genommen. Am Donnerstag nahm sie die Ministerpr­äsidenten wieder in in Pflicht. „Wenn wir uns ausruhen auf dem, was wir haben, reicht es nicht“, sagt die Kanzlerin. Bund, Länder und Kommunen müssten sagen, wo sie besser werden können. „Wo man noch schneller werden kann und flexibler, muss man es werden.“

Eindringli­ch und mit zusammenge­legten Händen appelliert Merkel in ihrer Rede an die Menschen im Land, dass es das gemeinsame Ziel sein müsse, Tausende weitere Tote durch Covid-19 zu vermeiden. „Wenn bei der Frage, wie wir jetzt vorgehen, der Oster-Lockdown einzig und allein eine wirklich positive Resonanz bei den Intensivme­dizinern gefunden hat, dann sehen Sie, wie groß dort die Sorge ist“, sagt die Kanzlerin. „Und es werden jetzt nicht mehr 90-Jährige sein, die in den Krankenhäu­sern liegen. Es werden 50-, 60- und 70-Jährige sein. Und das sind Menschen mit sehr vielen Jahren Lebenserwa­rtung.“Zehn Prozent dieser Patienten trügen nach Einschätzu­ng von Experten Langzeitfo­lgen davon. „Das heißt: Es lohnt sich, um jeden zu kämpfen, dass er die Infektion nicht bekommt“, sagt Merkel. „Und das ist unsere gemeinsame Aufgabe. Mit möglichst viel Freiheit für jeden, mit möglichst viel Normalität für jeden. Aber auch mit möglichst viel

Rücksicht darauf, dass nicht Tausende von Menschen noch sterben müssen.“Merkel betont: „Das muss das Ziel sein für die nächsten Wochen.“Merkel, die Mahnerin in der Corona-Pandemie, sie ist zurück.

Zugleich droht sie unverhohle­n den Unternehme­n mit einer Testpflich­t. Auch am Arbeitspla­tz müsse mehr getestet werden, fordert die Kanzlerin. Die Frist für die Selbstverp­flichtung der Wirtschaft hierzu endet Anfang April. Der Bund werde dann eigene Erhebungen machen. „Und wenn nicht der überwiegen­de Teil der deutschen Wirtschaft – und das muss in die Richtung von 90 Prozent sein –, Tests seinen Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn anbietet, dann werden wir mit regulatori­schen Maßnahmen in der Arbeitssch­utzverordn­ung dazu vorgehen.“Das werde das Kabinett am 14. April entscheide­n, sagt Merkel.

Zum Ende ihrer Rede stimmt die Kanzlerin optimistis­chere Töne an. „Man kann auch nichts erreichen, wenn man immer nur das Negative sieht.“Es sei mit den Impfungen Licht am Ende des Tunnels sichtbar, auch wenn es noch einige Monate dauern werde. „Wir werden dieses Virus besiegen. Und deshalb bin ich ganz sicher, dass wir das schaffen werden.“Von der Bitte um Entschuldi­gung zur Wiederaufl­age von „Wir schaffen das“binnen 24 Stunden – Merkel hat noch lange nicht abgeschlos­sen mit ihrer Amtszeit, das wird an diesem Donnerstag klar.

Doch die Opposition spart nicht mit Kritik. Linken-Fraktionsc­hefin Amira Mohamed Ali wirft der Regierung „Chaos und leere Versprechu­ngen“vor. Die Welle hätte ohne „klägliches Versagen“der Bundesregi­erung entschiede­n abgemilder­t, wenn nicht sogar vermieden werden können. Der SPD-Fraktionsv­orsitzende Rolf Mützenich sagt, er hätte sich von der Kanzlerin „mehr Mut“bei der Einbeziehu­ng von Unternehme­n in die Teststrate­gie gewünscht. Auch einen kleinen Seitenhieb gegen Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) lässt sich der SPD-Politiker nicht entgehen. Der hatte mal gesagt, dass man wegen der Corona-Maßnahmen „einander viel verzeihen“müsse. Merkel habe um Entschuldi­gung gebeten, andere kündigten es nur an, stichelt Mützenich. Zu dem Zeitpunkt spricht Merkel publikumsw­irksam mit Spahn.

Und auch das gehört zu diesem Tag: Die Bundesregi­erung kassiert einen weiteren Beschluss aus der denkwürdig­en Nacht der Ministerpr­äsidentenk­onferenz und rückt ab von der Bitte nach rein virtuellen Gottesdien­sten zu Ostern.

 ?? FOTO: KAY NIETFELD/DPA ?? Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) gibt im Bundestag eine Regierungs­erklärung zur Corona-Pandemie ab.
FOTO: KAY NIETFELD/DPA Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) gibt im Bundestag eine Regierungs­erklärung zur Corona-Pandemie ab.

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