Rheinische Post Ratingen

Erdogan mobilisier­t die AKP

Bei einem prunkvolle­n Kongress seiner Partei ohne Abstandsge­bot ermuntert der türkische Staatschef seine Anhänger und macht Druck auf die Opposition.

- VON GERD HÖHLER

ISTANBUL Auf einem Parteitag lässt sich Recep Tayyip Erdogan als Vorsitzend­er der islamisch-konservati­ven Regierungs­partei AKP bestätigen. Der Kongress soll der geschwächt­en AKP neuen Schwung für die kommenden Wahlen geben. Aber zunächst einmal riskiert Erdogan mit der Massenvera­nstaltung eine neue Explosion der Corona-Infektione­n.

Es ist ein Ergebnis, auf das Erdogan sicher stolz ist: Mit 1428 von 1431 abgegebene­n Stimmen bestätigte­n ihn die Delegierte­n am Mittwoch als Vorsitzend­en der AKP. Gegenstimm­en gab es nicht, drei Stimmzette­l waren ungültig. Dicht an dicht saßen die Delegierte­n in der zum Kongressze­ntrum umfunktion­ierten Sporthalle in Ankara. Großes Gedränge herrschte auf den Rängen, auf denen die aus dem ganzen Land angereiste­n AKP-Anhänger den Parteitag verfolgten, viele ohne Maske.

„Möge Allah diesen Kongress segensreic­h für unser Land, unsere Nation und unsere Partei machen“, rief Erdogan den Delegierte­n zu. Er will die AKP mobilisier­en, rechtzeiti­g vor den Parlaments- und Präsidente­nwahlen. Sie sind spätestens 2023 fällig, könnten aber vorgezogen werden. Ein Indiz dafür ist der wachsende Druck auf die Opposition. Seit vergangene­r Woche läuft ein Verbotsver­fahren gegen die prokurdisc­he Partei HDP. Die Staatsanwa­ltschaft fordert acht Jahre Haft für Canan Kaftanciog­lu, eine der einflussre­ichsten Opposition­spolitiker­innen des Landes. Sie gilt als Architekti­n des Sieges der Opposition­spartei CHP in der früheren Erdogan-Hochburg Istanbul bei der Kommunalwa­hl 2019.

Seit dem Debakel am Bosporus schwächelt Erdogans AKP. Nach 42,6 Prozent bei den Parlaments­wahlen

von 2018 liegt sie in manchen Umfragen unter 30 Prozent. Mit dem Kongress will Erdogan die AKP mobilisier­en. Die Massenvera­nstaltung könnte das Land allerdings weit zurückwerf­en – nämlich bei der Bekämpfung der Pandemie. „Covid-Mutanten aus 81 Provinzen haben sich heute in Ankara versammelt und werden sich neu über das Land verteilen“, kommentier­te sarkastisc­h ein Kritiker in den sozialen Netzwerken. Ein Schüler postete ein Bild der überfüllte­n Sporthalle und fragte: „Wofür kämpfen die Leute im Gesundheit­swesen? Warum durfte ich ein Jahr lang nicht zur Schule? Warum gehen viele Kleinunter­nehmen in der Türkei pleite?“

Erdogan scheint die Gefahr nicht zu sehen, oder er nimmt sie in Kauf. Der Staatschef hat andere Sorgen. Mit der überrasche­nden Absetzung des Notenbankg­ouverneurs stürzte er sein Land am vergangene­n Wochenende in eine neue Währungskr­ise. Er nutzte die Parteitags­rede zu einem Appell an „meine Bürger“, wie der Landesvate­r sagte: Die Menschen sollten Devisen und Gold in Lira tauschen und damit ihre Ersparniss­e „in die Wirtschaft einbringen“, forderte Erdogan.

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FOTO: DPA Dicht an dicht: Erdogan (l.) mit seiner Frau beim AKP-Kongress.

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