In dänischen Gewässern
Russische Spezialschiffe warten in der Ostsee auf ihren Einsatz. Die USA wollen die Fertigstellung der Gaspipeline Nord Stream 2 weiter stoppen.
BERLIN Man kann die geopolitische Konfrontation ganz nah zu sich holen. Wer den Seeüberwachungsdienst marinetraffic.com aufruft, sieht zwar in der Ostsee zunächst vor lauter Schiffen kaum Wasser. Aber ein paar Klicks auf das Zoomin-Symbol reichen, um 20 Seemeilen südlich der dänischen Insel Bornholm die russische „Fortuna“zu entdecken. Weiter östlich, vor der Küste des Gebiets Kaliningrad, dümpelt die „Akademik Tscherski“. Geschwindigkeit am Donnerstagmittag: null Knoten. Das ist nicht ungewöhnlich für Spezialschiffe, die Gasröhren auf dem Meeresgrund verlegen. Und doch sind die GPS-Daten symptomatisch. Denn faktisch ruhen die Arbeiten an der Ostseepipeline Nord Stream 2 seit mehr als einem Jahr.
Im Dezember 2019 unterzeichnete der damalige US-Präsident Donald Trump ein Sanktionsgesetz. Die USA drohten allen am Bau beteiligten Unternehmen Strafen an. Begründung: Die Pipeline, die vom nordrussischen Wyborg nach Mecklenburg-Vorpommern führt und dabei das Baltikum, Polen und die Ukraine umgeht, schade den osteuropäischen Verbündeten der USA und damit westlichen Interessen. Schließlich hält der staatliche russische Konzern Gazprom die Mehrheit an der Nord Stream AG. Die Tinte war noch nicht trocken, da zog die Schweizer Allseas Group ihre Verlegeschiffe bereits aus der Ostsee ab. Dem US-Druck zu widerstehen, wäre ruinös gewesen. Und da man nicht mal eben einen Fischkutter umbauen kann, um betonummantelte Röhren auf dem Meeresgrund zu verschweißen, blieb der Nord Stream AG nichts anderes übrig, als die Arbeiten auszusetzen.
Nun aber, im März 2021, könnte es jederzeit weitergehen. Die neuen Schiffe sind vor Ort. Alle Anträge sind bewilligt. Die dänischen Behörden haben sogar bereits Fahrverbotszonen für die reguläre Schifffahrt eingerichtet. Und doch passiert nicht viel. Die „Fortuna“verrichtet vorbereitende Arbeiten. Richtig losgehen kann es aber erst, wenn die „Akademik Tscherski“in dänischen Gewässern eintrifft. Eigner Gazprom hat den Rohrleger auf den neuesten Stand der Technik gebracht und lässt nun vor Kaliningrad die Einsatzbereitschaft proben. Doch wie lange noch? Das lässt Nord-Stream-Sprecher Steffen Ebert im Ungefähren. „Nach Absolvierung verschiedener Tests“werde man die Arbeiten aufnehmen. Oder fehlt doch noch das Okay aus dem Kreml?
Welchen politischen Sprengstoff der Weiterbau birgt, zeigte der Auftritt
des US-Außenministers Anthony Blinken bei einem Nato-Treffen in Brüssel. Nord Stream 2 stehe „im Widerspruch zu den Sicherheitszielen der USA“, erklärte er und machte kein Hehl daraus, was er von der Bundesregierung erwartet: das Aus für die Pipeline. In Berlin jedoch spielt man auf Zeit. Es sei sinnlos, eine milliardenteure Ruine auf dem Meeresgrund zu hinterlassen. Man könne den Betrieb immer noch verbieten. Wird also jemals Gas durch die Röhren strömen? Ebert winkt ab. Kein Kommentar.
Der Vergleich mit der Schwesterpipeline Nord Stream 1, die seit 2011 erfolgreich in Betrieb ist, zeigt den dramatischen Wandel innerhalb nur eines Jahrzehnts. 2010 verlängerte die Bundesregierung die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke. AKW-Strom und Erdgas sollten die Energiewende abmildern. Deshalb unterstützte Kanzlerin Angela Merkel das Projekt Nord Stream, das ihr Vorgänger Gerhard Schröder mit Wladimir Putin aufs Gleis gesetzt hatte. Damals setzte keineswegs nur Schröder auf gute Beziehungen zu Moskau. Auch US-Präsident Barack Obama beschwor bei Amtsantritt einen Neustart im Ost-West-Verhältnis.
Die Zeitenwende begann 2014 mit der prowestlichen Maidan-Revolution
in Kiew. Putin schickte Soldaten auf die Krim und annektierte die Halbinsel. In der Ostukraine entfesselten kremltreue Separatisten einen Krieg. EU und USA verhängten Sanktionen. Die Nato verstärkte ihre Truppen in Osteuropa. Politische Morde und Mordversuche an Oppositionellen wie Boris Nemzow 2015 und Alexej Nawalny 2020 brachten dem Kreml den Vorwurf des Staatsterrorismus ein. US-Präsident Joe Biden nannte seinen Kollegen Putin kürzlich einen „Killer“.
Auch die rasante Erderwärmung erzwang nach 2010 ein fundamentales Umdenken in der Umweltpolitik. Das Abkommen von Paris
schrieb 2015 erstmals ambitionierte Klimaziele fest. Deutschland, das nach Fukushima den Atomausstieg beschloss, will bis 2038 auch raus aus der Kohle. Beim Erdgas gehen die Meinungen auseinander. Energieexpertin Claudia Kemfert glaubt, dass „Erdgas als fossiles Produkt bis 2050 aus dem deutschen Energiemix verschwinden wird“. Nord Stream 2 werde nicht gebraucht. Ihr Kollege Manuel Frondel dagegen verweist auf zurückgehende Gaslieferungen aus den Niederlanden und Großbritannien. Nord Stream sei wichtig.
Frondel weist zudem auf den hohen Preis von Frackinggas hin. Denn auch das gehört zur Wahrheit: Die umstrittene Technik hat die USA zum weltweit größten Gasproduzenten gemacht. Kritiker vermuten deshalb, dass hinter den US-Drohungen gegen Nord Stream vor allem eigene Geschäftsinteressen stehen. In der Ukraine und den östlichen EU-Staaten wischt man solche Kritik jedoch beiseite. Die polnische Position fasste am Mittwoch noch einmal Vize-Außenminister Marcin Przydacz zusammen: „Die Pipeline steht in Widerspruch zu den Werten der EU und zur europäischen Solidarität.“