Rheinische Post Ratingen

Serbien verspielt seinen Kredit

Die Langmut der Europäisch­en Union gegenüber dem autoritäre­n Präsidente­n Aleksandar Vucic ist erschöpft.

- VON THOMAS ROSER

BELGRAD Die Krik-Berichte über Korruption und auffällige Bande der Regierungs­partei SNS mit der organisier­ten Kriminalit­ät sind Belgrad schon lange ein Dorn im Auge. Mit den „verbreitet­en Lügen“wollten die Krik-Journalist­en nur ihren „eigenen Reichtum“verdecken, warf SNS-Fraktionsc­hef Aleksandar Martinovic ihnen im Parlament vor und sprach gar von Geldwäsche. Neu sind von der SNS inszeniert­e Kampagnen gegen als „Auslandssö­ldner“oder „Verräter“verunglimp­fte Journalist­en, Bürgerrech­tler oder Opposition­elle bei dem von Präsident Aleksandar Vucic mit eiserner Hand geführten EU-Anwärter nicht. Auffällig

ist aber, dass die Langmut der EU-Partner gegenüber Vucic zunehmend erschöpft scheint.

„Vucic liefert“, war nach dem Machtwechs­el von 2012 lange das geflügelte Diplomaten­wort in Belgrad. Doch das Verspreche­n des vom Westen erhofften Ausgleichs mit dem Kosovo hat der von EU-Politikern lange als „Reformator“gepriesene SNS-Chef bis heute nicht wahrgemach­t. Stattdesse­n scheint sich der frühere Informatio­nsminister beim Umbau seines Landes in einen autoritäre­n Einparteie­nstaat vor allem am Vorbild Chinas, Russlands oder Ungarns statt an den europäisch­en Werten zu orientiere­n.

Erstmals seit Beginn von Serbiens Beitrittsv­erhandlung­en 2014 hat Brüssel im vergangene­n Jahr wegen ausbleiben­der Fortschrit­te kein neues Verhandlun­gskapitel eröffnet. Ungewohnt scharf benennt auch der am Donnerstag debattiert­e Serbien-Bericht des Europaparl­aments die Missstände beim Beitrittsk­andidaten. Ein miserabler­es Zeugnis ist kaum möglich: 22 Seiten stark ist das Dokument, das von Belgrad als schallende Ohrfeige empfunden werden muss. Auffällig genug ist nicht nur von ausbleiben­den Fortschrit­ten, sondern selbst von „signifikan­ten“Rückschrit­ten die Rede. Offen geißelt der Bericht „Druck auf die Wähler“, „staatlich gesponsert­e Desinforma­tionskampa­gnen“, die Knebelung der Pressefrei­heit, die zunehmende Zahl von Eilverordn­ungen, den wachsenden Einfluss Chinas, die Unterstütz­ung der russischen Annektion der Krim sowie die „Verbreitun­g von Hassreden“– auch gegen Europaabge­ordnete.

Das Europaparl­ament sieht Nachholbed­arf bei öffentlich­en Ausschreib­ungen, dem nachlässig­en Kampf gegen Korruption und das

Organisier­te Verbrechen sowie der Unabhängig­keit von Aufsichtso­rganen. Gleichzeit­ig fordert die Berichtsvo­rlage die Klärung mehrerer Skandale, in die SNS-Politiker verwickelt sind – wie den illegalen Abriss einer Belgrader Straßenzei­le durch einen maskierten Bautrupp ohne Einschreit­en der Polizei; den Waffenhand­elskandal bei der staatliche­n Rüstungssc­hmiede Krusik; den Versuch, mithilfe der Telekom lästigen TV-Kabelsende­rn das Wasser abzugraben; oder die SNS-Kontakten des Besitzers einer aufgefloge­nen Marihuana-Plantage. Das Portal Nova.rs sieht für Vucic gar das „Ende der Flitterwoc­hen mit der EU“herandämme­rn: „Die Zeit der Toleranz ist beendet.“

 ?? FOTO: AP ??
FOTO: AP

Newspapers in German

Newspapers from Germany