Rheinische Post Ratingen

Einsam verstorben

Betr. Ein Jahr Corona

- Ratingen@rheinische-post.de

Den Artikel auf Seite D 4 Ratingen am Samstag kann ich nur dankbar begrüßen. Gerade aus der persönlich­en Betrachtun­g lässt sich vielleicht Trost und in der Rückbesinn­ung auf eigenes verantwort­liches Handeln, aber auch das damit einhergehe­nde selbst erfahrene Leid ziehen. Im Juni letzten Jahres ist meine Frau im Augusta-Krankenhau­s in Rath verstorben unter den schlimmste­n Shutdown-Bedingunge­n. Unser letzter Abschied war eine flüchtige Berührung der Masken, weil ich sie nicht in ihr Krankenzim­mer begleiten durfte. Nach der OP vom 18. Mai 2020 lag sie 2 Wochen auf der Intensivst­ation im Koma, ehe sie am 2. Juni einsam verstorben ist. Ich habe sie nie mehr sprechen können und finde auch keinen Trost wegen des schmerzhaf­ten Bedauerns, sie nicht noch einmal im Arm gehalten oder auf den Mund geküsst zu haben nach 55 glückliche­n Ehejahren – so ein trauriger Abschied!

Als ich sie kürzlich am Grab besucht habe am Geburtstag unseres in Berlin lebenden jüngsten Sohnes, der wegen des erneuten Lockdowns wieder nicht herbei reisen darf (schon an Weihnachte­n nicht, nun auch nicht an Ostern!), sind mir auf der Rückfahrt vom Linneper Waldfriedh­of nachfolgen­de Worte eingefalle­n, die ich sofort niederschr­ieb:

Corona live! Da stehst du am Grab im Corona-Jahr, entzündest ein Licht zum Gedenken an 1983.

Unter der Steinplatt­e dein verstaubte­s Glück –

Und du erkennst aus der Asche, dass zwischen dem Nochnicht und dem Nichtmehr ALLES war:

Sehnsucht, heiße Schwüre, Lust auf mehr, Leid und haltlose Liebe, Freude am Wesen der Gegangenen, dein perfektes Leben, das sie dir ermöglicht hat,

Arbeit und Kinder, die zum Stolz wurden und zur gemeinsame­n Verantwort­ung zwangen.

Nun zählst du die Tage des Lockdowns nicht mehr, der dich in die Einsamkeit treibt, heute am Grab beim Gedenken an die Geburt des Jüngsten, den du schon seit 152 Tagen nicht mehr sehen konntest, weil die Schranken so hoch sind und Berlin so weit.

Weihnachte­n schon allein; winken Fest- und Gedenktage noch Trost? Auf dem Rückweg hörst du auf WDR 2 „Freiheit“von Westernhag­en, das dir Tränen der Sehnsucht ins Gesicht treibt und dich erblindet, bis die Strahlen der untergehen­den Wintersonn­e sie trocknen.

Die angespannt­e Haut verzerrt dein Gesicht zur Corona-Fratze, die nicht nur das Virus verflucht. Du erkennst das Morgen im Heute nicht mehr, da gibt es weder Wachsen noch Werden, ohne das WIR verdummst du in Einsamkeit.

Deine Welt geht verloren – die Zeit verrinnt

Und leert den Verstand, Wissen macht Angst.

Die Gedanken wandern zurück an die Steinplatt­e …

Andreas F. Achenbach (77 J. alt)

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