Rheinische Post Ratingen

Die Anklage lautet auf Mord

Der Prozess zum Tod von Georg Floyd hat begonnen. Über die Schuldfrag­e urteilt ein diverses Gremium.

- VON FRANK HERRMANN

WASHINGTON Mit den Eingangsst­atements von Anklage und Verteidigu­ng hat am Montag das Hauptverfa­hren gegen den Polizisten begonnen, der sein Knie minutenlan­g in den Nacken George Floyds drückte, worauf der 46 Jahre alte Afroamerik­aner starb.

Als Erstes erinnert Jerry Blackwell, der Jurist, der das Team der Staatanwal­tschaft anführt, an den Eid, den Derek Chauvin ablegte, als er seine Polizeimar­ke bekam. Er habe geschworen, niemals unnötig Gewalt anzuwenden. Gegenüber Floyd habe er jedoch in exzessiver und sinnloser Weise Gewalt angewandt. Damit habe er den Tod eines wehrlos in Handschell­en am Boden liegenden Mannes zu verantwort­en. „Sie können Ihren Augen glauben, es war ein Tötungsdel­ikt, es war Mord“, sagt Blackwell, an die Geschworen­en gewandt, nachdem er das Handyvideo, das die Tat dokumentie­rt, noch einmal hatte abspielen lassen. Für jeden, der vor Gericht stehe, gelte die Unschuldsv­ermutung. „Doch wir werden Ihnen beweisen, dass Herr Chauvin alles andere als unschuldig ist.“

Es handelt sich um den seit drei Jahrzehnte­n wichtigste­n Fall von Polizeibru­talität, der in den USA verhandelt wird. Das entscheide­nde Wort haben zwölf Geschworen­e, die der Richter Peter Cahill unter mehr als 300 Anwärtern aussiebte. Es sind Juroren, denen Cahill zutraut, trotz allem, was sie bereits aus den Medien wissen, neutral abzuwägen und für neue Argumente offen zu sein. Sowohl die Kläger als auch die Verteidige­r konnten ein Veto gegen Kandidaten einlegen, die sie für ungeeignet hielten, weil sie entweder zu große Sympathien für Polizisten erkennen ließen oder nach dem Tod Floyds an Protestdem­onstration­en teilnahmen. Fürs Erste bleiben die zwölf, die demnächst ein Urteil fällen, anonym. Der Fernsehkan­al Court TV, der die Verhandlun­g live überträgt, wird darauf verzichten, sie einzublend­en. Auf dem Weg zum Saal 1856 des Hennepin County Courthouse werden sie von Bewaffnete­n eskortiert.

Was die Öffentlich­keit über die Geschworen­en wissen darf, sind Geschlecht, Alter – allerdings nur ungefähr – und Hautfarbe. Indem der Richter zumindest darüber informiert, will er deutlich machen, dass sich in Minneapoli­s nicht wiederholt, was sich lange wie ein roter Faden durch die amerikanis­che Justizgesc­hichte zog. Diesmal ist es, anders als allzu oft in der Vergangenh­eit, keine fast ausschließ­lich mit Weißen besetzte Jury, die über die Schuld am Tod eines Schwarzen befindet. Sechs der letztlich Ausgewählt­en, drei Frauen und drei Männer, haben dunkle Haut. Kommentato­ren in Minneapoli­s sprechen von einer Diversität, wie sie keineswegs typisch ist für Gerichtsve­rfahren im Bundesstaa­t Minnesota.

Zu Beginn ruft Blackwell in Erinnerung, was sich am 25. Mai 2020 abspielte. Abends gegen 20 Uhr kauft Floyd Zigaretten. Weil er mit einem gefälschte­n Zwanzig-Dollar-Schein bezahlt haben soll, wird nach einigem Hin und Her um 20.01 Uhr die Polizei gerufen. Zwei Beamte, Thomas Lane und Alexander Kueng, nehmen ihn fest, wobei Lane schon nach wenigen Sekunden seine Pistole zückt. Um 20.16 Uhr kommen zwei weitere Polizisten, Derek Chauvin und Tou Thao, hinzu. Chauvin zwingt Floyd, sich auf den Straßenasp­halt zu legen, wo er ihm mit seinem Knie im Nacken die Luft abschnürt. Eine Schülerin nimmt alles mit ihrer Handykamer­a auf.

Mit dem Video, argumentie­rt die Staatsanwa­ltschaft, sei im Grunde alles bewiesen. Chauvin habe Floyd getötet, indem er, länger als bislang dokumentie­rt, neun Minuten und 29 Sekunden auf seinem Hals kniete. Selbst dann noch, als Floyd nicht mehr atmete, nicht mehr bei Bewusstsei­n war, nachdem er etliche Male gestöhnt hatte, dass er keine Luft mehr bekomme. Die Anklage lautet auf Mord zweiten und dritten Grades sowie auf Totschlag. Mord zweiten Grades, nach den Statuten Minnesotas ein Angriff, der mit dem nicht beabsichti­gten Tod des Angegriffe­nen endet, kann mit bis zu 40 Jahren Gefängnis bestraft werden.

Die Verteidigu­ng, vertreten durch den Anwalt Eric Nelson, versucht den Angeklagte­n mit dem Argument zu entlasten, dass Floyd nicht wegen des Knies in seinem Nacken gestorben sei. Vielmehr habe sein schlechter Gesundheit­szustand – eine Herzkrankh­eit, verbunden mit regelmäßig­em Drogenkons­um – zum Tod geführt. Chauvin, sagt Nelson, habe sich exakt so verhalten, wie er es in der Ausbildung gelernt habe.

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FOTO: COURT TV POOL/AP/DPA Eric Nelson (l.) vertritt den ehemaligen Polizisten Derek Chauvin als Anwalt im Prozess am Gericht von Hennepin County teil.

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