Rheinische Post Ratingen

Auf der Suche nach dem wahren Jakob

Für sein jüngstes Buch erhält Norbert Gstrein den Düsseldorf­er Literaturp­reis der Kunst- und Kulturstif­tung der Stadtspark­asse.

- VON CLAUS CLEMENS

DÜSSELDORF Ein Jubiläum in Zeiten von Corona. Zum 20. Mal verleiht die Kunst- und Kulturstif­tung der Stadtspark­asse Düsseldorf ihren Düsseldorf­er Literaturp­reis. Die mit 20.000 Euro dotierte Auszeichnu­ng geht an den Schriftste­ller Norbert Gstrein. Die siebenköpf­ige Jury stimmte in ihm, gemäß ihren Kriterien, für einen Autor, dessen deutschspr­achiges Werk inhaltlich oder formal Bezug auf andere Künste nimmt. Zu einer Feier in den Räumlichke­iten an der Berliner Allee wird es allerdings am 20. Mai nicht kommen, die Preisüberg­abe findet digital statt.

Norbert Gstrein, geboren 1961 in Tirol, lebt in Hamburg. Eigentlich ist er Mathematik­er, aber seit dem Erfolg seiner Erzählung „Einer“im Jahr 1988 lebt er von und mit dem Schreiben. Regelmäßig veröffentl­icht er neue Werke, die alle von den Feuilleton­s

gefeiert werden. Sein jüngster Roman „Der zweite Jakob“stand auch im Zentrum der Jurybegrün­dung für den Düsseldorf­er Literaturp­reis.

Gstrein erzählt darin von einem Schauspiel­er, dessen wichtigste Rolle die eines Frauenmörd­ers war. In seinem wirklichen Leben hat der Schauspiel­er Jakob Thurner niemanden umgebracht oder durch sein Handeln in den Tod getrieben. „Aber“, so gibt er auf das drängende Fragen seiner Tochter zu, „ich bin einmal bei einer Sache dabei gewesen, die nicht gut ausgegange­n ist. Ich war Beifahrer bei einem Unfall. Eine Kollegin ist gefahren, und es hat einen Unfall gegeben.“

Anlässlich des 60. Geburtstag­s von Jakob Thurner soll eine profession­ell geschriebe­ne Biografie erscheinen. Doch Thurner verweigert sich konsequent einer von Daten, Orten und bekannten Tatsachen strukturie­rten Ordnung. In seiner eigenen Wahrnehmun­g ist er jemand, der es gewohnt ist, Geld zur Durchsetzu­ng seiner Ziele einzusetze­n. Ein Mann, der drei gescheiter­te Ehen hinter sich hat, über die er nicht sprechen möchte, und, davon erzählt er selbst gern, eine veritable Berühmthei­t als Frauenmörd­er besitzt.

Doch die Kunst des Autors Norbert Gstrein besteht darin, die Wahrnehmun­g des Romanleser­s in Bezug auf den „wahren“Jakob Thurner mit ständig neuen Volten zu durchkreuz­en. Das Auseinande­rklaffen zwischen Selbst- und Außenwahrn­ehmung Jakobs wird von Gstrein geradezu vorgeführt.

„Am liebsten wäre Jakob ein echter existentie­ller Lebensverl­ierer“, heißt es in der Begründung der Literaturp­reis-Jury mit Bezug auf diesen Roman. „Er möchte herausfall­en aus allen Zuschreibu­ngen und Projektion­en und empfindet permanent Schuldgefü­hle. Kaum, dass er etwas sagt, bereut und revidiert er es. Und wehe, andere suchen ihn zu bestimmen. Norbert Gstrein macht auf grandiose Weise im Wechsel von Selbst- und Fremdbesti­mmung deutlich, welch ein seltsames Palimpsest die Biografie eines Menschen ist.“

Beim Pressegesp­räch mit dem Preisträge­r, der aus seiner Hamburger Wohnung zugeschalt­et war, ging es dann doch um sehr Biografisc­hes. Ein Autor, dessen Familienna­me mit vier Konsonante­n beginnt und der sich, der Zunge weitaus angenehmer, zumindest theoretisc­h zu „Gestirn“verbessern ließe, erweist seinem Geburtslan­d Tirol in fast allen Romanen die Ehre. „Es geht mir meist um die Kombinatio­n des Gegensatzp­aares Herkunftss­cham und

Herkunftss­tolz. Die jeweils als Beweis dienenden Elemente habe ich allerdings in verschiede­ne Figuren ausgelager­t.“

Ähnlich verhält es sich mit den Handlungso­rten in Gstreins jüngstem Roman. Er führt vom texanische­n Ciudad Juarez, einer Grenzstadt mit extrem hoher Mordrate, am Ende ins idyllische Inntal. Am

Vortag seines runden Geburtstag­s kehrt der berühmte Jakob zurück in sein Tiroler Dorf. Zu seinen Verwandten, zu den Brüdern, Schwägerin­nen und Cousins. Gutes wollen sie ihm dort nicht, aber vielleicht wissen die hinterwäld­lerischen Konsonante­nträger mehr über den ersten und zweiten Jakob, als der Leser auf 448 Seiten erfahren hat.

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FOTO: OLIVER WOLF Der 1961 in Tirol geborene Schriftste­ller Norbert Gstrein.

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