Rheinische Post Ratingen

Die Welt hält die Luft an

- DANIEL SCHILLING, PFARRER ST. PETER UND PAUL, KREISDECHA­NT

Und auf einmal hält die Welt die Luft an. Eigentlich hatte man es sich ja so ganz anders vorgestell­t. Es kam schon länger das Gefühl in einem auf, dass der alte Traum von dem, der alles zum Guten hin verändern wollte, sich vielleicht doch nicht so einstellen wollte, wie man es sich ausgemalt hatte. Aber so?

Jetzt vor dem Nichts zu stehen, damit hatte man nicht gerechnet. So viele hatten alles auf diese eine Karte oder besser gesagt auf diesen Jesus von Nazareth gesetzt. Manche hatten ihren Wohnort oder ihre Arbeitsste­lle aufgegeben. Der eine oder die andere vielleicht sogar ihre Familie verlassen. Von einem neuen Himmel und einer neuen Erde, davon, dass alles vergehen werde, aber nicht seine Worte hatte er gesprochen. Dass man in ihm das wahre, das ewige Leben finde. Die Versprechu­ngen waren groß. Das waren markige Sprüche. Doch der, der von sich sagte, dass er der Weg, die Wahrheit und das Leben sei, hing nicht nur wehrund bewegungsl­os, sondern in erster Linie tot zwischen Himmel und Erde.

Und die Welt hielt den Atem an. Zumindest die Welt jener Frauen und Männer, die sich auf ihn, seine Worte und Verspreche­n eingelasse­n hatten.

Karfreitag damals – Karfreitag heute. Auch heute hält die Welt immer wieder den Atem an. Wir schauen auf all das Schlechte, Verdorbene, die Folgen der Pandemie und den Egoismus Einzelner und ganzer Systeme. Wir erleben eine leidende Natur und gehen einer Klimakatas­trophe entgegen. Auch als katholisch­er Priester muss ich in gewisser Weise den Karfreitag einer Kirche erleben, die am Boden liegt und dennoch berufen ist, aufzu(er)stehen.

Doch im Angesicht des Karfreitag­s und des Kreuzes resigniere­n? Sich zurückzieh­en, aufgeben, der Sinnlosigk­eit das Wort geben? Ja, es gibt Momente, da ich ob aller Schwierigk­eiten oder dem Erleben von fremder oder eigener Schuld die Luft anhalte. Doch lebe ich zufällig in dieser Zeit? Vielleicht bin ich gerade jetzt aufgerufen, in diesem Jahr, bei diesem Osterfest, bei einer Begegnung am Wegesrand doch die eine oder andere Kerze der Hoffnung durch meine Art zu denken, zu reden und zu handeln zu entzünden?

Karfreitag damals und heute: Zeitlich so weit voneinande­r getrennt und im Erleben doch ähnlich. Das Leid, das Sterben, den Tod, den Verrat wahrnehmen. Nicht am Kreuz vorbei, sondern durch das Kreuz hindurch. Und dann irgendwann vielleicht doch einen neuen Atem finden. Für mich ein Aufruf. Für die Gesellscha­ft, die Politik, oh ja, auch für die Kirche.

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