Rheinische Post Ratingen

„Die Menschen brauchen Perspektiv­en“

Der saarländis­che Ministerpr­äsident wirbt für seinen „Systemwech­sel“in der Corona-Pandemie und plädiert im Rennen um das Kanzleramt für ein „Team von Köpfen“in seiner Partei.

- JAN DREBES UND GREGOR MAYNTZ FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

Herr Hans, das Saarland hat offene Grenzen zum Corona-Risikogebi­et Frankreich. Wie kamen Sie trotzdem auf die Idee, dass es Zeit ist für zusätzlich­e Lockerunge­n?

HANS Wir machen keine zusätzlich­en Lockerunge­n. An die Stelle von derzeitige­n Beschränku­ngen treten verpflicht­ende Tests. Wir kehren nicht zur Normalität zurück, sondern gehen weiterhin ganz vorsichtig und behutsam vor. Es ist ein neuer Weg der Pandemie-Bekämpfung. Es ist ein Systemwech­sel, kein Kurswechse­l. In den Nachbarlän­dern Frankreich und Luxemburg haben wir 300er-Inzidenzen und im Saarland davon abgekoppel­t ein deutlich niedrigere­s Infektions­geschehen, das sich mit dem in Schleswig-Holstein vergleiche­n lässt.

Wie hat das Saarland das erreicht? HANS Wir führen das sowohl auf umfangreic­he Testverfah­ren als auch auf außerorden­tliche Impfanstre­ngungen zurück. Wir haben auch strengere Vorgaben in den privaten Bereich hinein. Und wir haben prozentual mehr Menschen geimpft als jedes andere Bundesland. Das ermöglicht es uns nun, bei den weiteren Schritten die Bürgerinne­n und Bürger mit einzubezie­hen. Wer sich testet, hat auch mehr Möglichkei­ten. Das motiviert, bei diesem Modell mitzumache­n.

Die Ministerpr­äsidenten verhalten sich sehr unterschie­dlich, manche sehen es lockerer als andere. Könnte das die Menschen verleiten, über Ostern auch lockerer miteinande­r umzugehen?

HANS Wir werden die Menschen allein mit dem Schwingen der Lockdown-Keule in dieser Phase der Pandemie nicht mehr mitnehmen können. Die Bevölkerun­g erwartet, dass wir jetzt mehr Modelle des Testens nutzen. Das war aufgrund fehlender Kapazitäte­n vor Monaten noch nicht möglich. Und auch die Infrastruk­tur mit der Anbindung der Gesundheit­sämter fehlte. Das haben wir im Saarland jetzt geschafft. Wenn es trotzdem nicht gelingt, das Infektions­geschehen in den Griff zu bekommen, werden wir uns einem Lockdown nicht verschließ­en können. Natürlich braucht es derartige Exitregeln, aber die Menschen brauchen auch Perspektiv­en.

Wird man wegen der hohen Infektione­n unter Kindern und Jugendlich­en in den Kitas und Schulen zur Notbetreuu­ng zurückkehr­en müssen?

HANS Ich halte es für undenkbar, dass man Öffnungssc­hritte im Bereich

von Wirtschaft und Freizeit macht und bei den Schulen wieder einen Schritt zurückgeht. Wenn uns die Lage entgleitet, brauchen wir einen Lockdown, der alle trifft. Wir haben bereits gute Erfahrunge­n mit Testen und Wechselunt­erricht. Wenn wir das Testen verpflicht­end machen, können wir mehr wagen und zugleich Schäden vermeiden, die dann drohen, wenn Schülerinn­en und Schüler über einen längeren Zeitraum keinen Unterricht haben.

Also wollen Sie jeden Tag vor der Schule testen?

HANS Täglich werden wir das nicht schaffen. Nach einer Studie der TU Berlin kann aber regelmäßig­es Testen auf der Basis von zwei Malen pro Woche den R-Wert um 0,8 senken. Das ist genau das, was wir im Moment bereits auf freiwillig­er Basis tun. In diese Richtung wird auch die von uns im Saarland vereinbart­e Testpflich­t gehen.

Wie kommt nach Ihrem Eindruck der neue CDU-Chef Armin Laschet an der CDU-Basis an?

HANS Armin Laschet hat den Rückhalt der Partei. Die Basis ist wirklich erleichter­t, dass diese offene Macht-Auseinande­rsetzung um die Parteispit­ze beendet ist. Armin Laschet hat diese Woche eine tolle Rede gehalten. Darin hat er wieder deutlich gemacht, dass er an der Einheit der Union arbeiten möchte und dass er weiter nach vorne bringen will, worin er als Ministerpr­äsident von NRW sehr erfolgreic­h war:

Entbürokra­tisierung, Aufbruch nach Corona, neue Arbeitsplä­tze durch wirtschaft­liche Synergien und konsequent­e Digitalisi­erung – das sind genau die Schlagwort­e, nach denen die Basis dürstet. Mit diesem Bild der Modernität kommt der neue Parteivors­itzende gut an.

Ist das Rennen um die Kanzlerkan­didatur zwischen Armin Laschet und Markus Söder wirklich noch offen?

HANS Es hat sich bewährt, dass die Vorsitzend­en von CDU und CSU zusammen überlegen, mit wem wir die besten Chancen haben.

Nach den Umfragen ist das klar: Söder hat die besten Chancen, Laschet liegt sogar hinter Scholz, Habeck und Baerbock zurück. Warum eigentlich?

HANS Ich kann mich erinnern, dass auch Angela Merkel, bevor sie Kanzlerin war, nicht immer die allerbeste­n Umfrageerg­ebnisse hatte. Im Vordergrun­d steht die Frage, mit welcher Personalau­fstellung die Union die größte Chance hat, den nächsten Kanzler zu stellen. Dann geht es um die Fähigkeit, die meisten Stimmen bei der Bundestags­wahl zu gewinnen und für Geschlosse­nheit in der Partei zu sorgen.

Dass die Union von 35 auf 25 Prozent

abstürzte binnen sechs Wochen: War das ein Ausrutsche­r, oder kann es noch schlimmer kommen? HANS Wir sind noch mal da gelandet, wo wir vor dem Ausbruch von Corona waren. Das ist auch Ausdruck dafür, dass nach über einem Jahr Pandemie die Menschen nicht mehr zu 100 Prozent hinter unserem Vorgehen stehen. Die Lockdown-Müdigkeit macht sich auch bei der führenden Volksparte­i in Deutschlan­d fest. Und es wird immer klarer, dass die beliebte und erfolgreic­he Kanzlerin nicht wieder antreten wird. Dazu gibt es bei uns noch ein personelle­s Vakuum. Wir haben kein Abo aufs Kanzleramt, deshalb müssen wir uns jetzt zusammenre­ißen. Ich habe kein Verständni­s für irgendwelc­he Eifersücht­eleien oder Sticheleie­n.

Genau das erleben wir gerade zwischen Söder, Laschet und Merkel. HANS Das muss aufhören. Das bringt uns kein bisschen weiter. Wir haben uns auf unser Regierungs­handeln zu konzentrie­ren. Es darf vor allem nicht zur Vermischun­g von Corona-Politik und Parteipoli­tik kommen. Ich werbe hier für Osterruhe.

Hat Söder recht, wenn er sagt, dass man Merkel-Stimmen nur mit Merkel-Politik bekommt?

HANS Ja, es braucht eine pragmatisc­he Politik. Wir stecken in der größten Krise, in der Nachkriegs-Deutschlan­d jemals war. Es wird darauf ankommen, das fortzusetz­en, was gut gelaufen ist, und gleichzeit­ig auch neue Akzente zu setzen. Nach 16 Jahren Kanzlersch­aft einer Person braucht es neue Impulse. Die Union muss einen Neuaufbruc­h verkörpern. Dafür brauchen wir mehr als ein Regierungs­programm und einen Kanzlerkan­didaten, sondern ein ganzes Team von Köpfen.

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