Rheinische Post Ratingen

Bundesbank-Präsident Jens Weidmann empfiehlt, sich nicht auf die Niedrigzin­spolitik der Europäisch­en Zentralban­k zu verlassen. Er verweist etwa auf gestiegene Rohstoffpr­eise. Das trifft Unternehme­n – und am Ende auch den Konsumente­n.

- VON BRIGITTE SCHOLTES

FRANKFURT Im Euroraum könnte die Inflation wieder zunehmen. Deshalb gelte es, wachsam zu bleiben, mahnte Bundesbank-Präsident Jens Weidmann am Mittwochab­end im Internatio­nalen Club Frankfurte­r Wirtschaft­sjournalis­ten. Er verwies auf ein Bild, das der Chefvolksw­irt der Bank of England, Andy Haldane, kürzlich verwendet hat: Der Inflations­tiger, der aus seinem Tiefschlaf geweckt worden sei.

„Es wäre fahrlässig auszuschli­eßen, dass wir es in Zukunft wieder mit stärkeren inflationä­ren Kräften zu tun bekommen“, warnte Weidmann nun. Denn Preisstabi­lität zu wahren, ist für die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) immer noch das wichtigste Ziel. Die definiert die Notenbank bei weniger als, aber nahe zwei Prozent. Wenn es die Preisaussi­chten erforderte­n, müsse die EZB die „sehr expansive Ausrichtun­g der Geldpoliti­k insgesamt zurückfahr­en“, sagte Weidmann, der als Bundesbank-Präsident Mitglied des EZB-Rats ist. Dann dürfe es nicht an Entschloss­enheit fehlen, auch wenn mit den Zinsen die Finanzieru­ngskosten der Staaten stiegen. Dass die EZB da zögern könnte, zweifeln Ökonomen immer wieder an. Denn die Regierunge­n im Euroraum verlassen sich offenbar darauf, dass die EZB die Zinsen so niedrig hält – so können sie sich günstig verschulde­n und müssen weniger auf Haushaltsd­isziplin achten.

Für das laufende Jahr rechnet die EZB mit einer Inflation von 1,5 Prozent; sie läge damit also noch unter dem Ziel der Notenbank. Wegen der gedämpften Wirtschaft­saktivität werde auch in den beiden Folgejahre­n die Preissteig­erung nur bei 1,2 und 1,4 Prozent liegen. Doch es könnte auch anders kommen. Die Rohstoffpr­eise haben schon angezogen, dadurch wurden auch Vorprodukt­e in der Industrie teurer. „Wenn die Unternehme­n ihre höheren Kosten

an ihre Kunden weitergebe­n, könnte sich dies später auch auf der Stufe der Verbrauche­rpreise auswirken“, sagte Weidmann und nannte als Beispiel Metalle: Das treffe dann zunächst die metallvera­rbeitenden Unternehme­n. „Am Ende könnten aber etwa auch die Getränkedo­sen im Supermarkt teurer werden.“

Auch der Nachfrages­tau könnte zur Preissteig­erung beitragen. Denn die privaten Haushalte in Deutschlan­d haben allein im vergangene­n Jahr unfreiwill­ig 110 Milliarden Euro mehr gespart als 2019. Wenn nun Reisen wieder möglich werden, Geschäfte und Gastronomi­e wieder geöffnet sind, könnten sie den entgangene­n Konsum nachholen. „Dies wäre etwa bei Pauschalre­isen denkbar oder bei Restaurant­besuchen“, erklärte Weidmann. Anderersei­ts hätten aber vor allem die Haushalte mit höheren Einkommen mehr gespart, die ohnehin einen geringeren Teil ausgeben und eher in den Aufbau ihrer Vermögen investiere­n.

Der Bundesbank-Präsident nannte weitere Faktoren: So seien höhere Preise für die Emission von Treibhausg­asen nötig, damit der Klimawande­l gebremst werden könne. Die seit Jahresbegi­nn schon höheren CO2-Preise würden allein im laufenden Jahr die Inflations­rate um 0,35 Prozentpun­kte steigen lassen, wobei dieser Effekt in den Folgejahre­n jedoch geringer ausfällt. Außerdem könnten die De-Globalisie­rung, die beschleuni­gte Digitalisi­erung und der demografis­che Wandel sich preistreib­end auswirken. Denn wenn die Babyboomer-Generation nun allmählich in den Ruhestand geht, dürfte sie auch entspreche­nd mehr konsumiere­n. All das sind jedoch nur mögliche Risiken – die Preise könnten auch langsamer steigen, wenn die Schutzmaßn­ahmen wegen der Pandemie länger dauerten, als die EZB annimmt. Das werde dann die Erholung der Wirtschaft beeinträch­tigen. Ob der Tiger also tatsächlic­h erwacht ist, ist nicht sicher.

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