Erinnern an das Geheimnis des Glaubens
Hans Müskens, pensionierter Gymnasiallehrer und kundiger Kirchenhistoriker speziell für Ratingen, erinnert in seinem Gastbeitrag an den Teil seiner Kindheit, der in der frühen Nachkriegszeit eng mit dem Gemeindeleben verbunden war.
RATINGEN Seit mehr als 80 Jahren erlebe ich das Osterfest. Die Erinnerung beginnt eigentlich in der Nachkriegszeit in den späten 40er Jahren. 1947 wurde ich Messdiener an St. Peter und Paul. Damals war die Kirche noch teilweise kriegszerstört. Aber schon wenige Monate später im Jahre 1948 konnten die Gottesdienste wieder unten am Hauptportal beginnen. Jetzt begann auch meine intensive Ausbildung zum Messdiener: Latein lernen und die aufwändigen liturgischen Handlungen üben. So bin ich auch ganz allmählich in die komplizierten Abläufe der Karwoche und des Osterfestes hineingewachsen.
Ein Kaplan hatte uns erklärt, dass das Wort „Kar“vom Althochdeutschen „chara“komme und Klage, Elend und Trauer bedeute. Die Christen würden sich in dieser Woche an die Verurteilung, das Martyrium und den Tod Christi erinnern. Der Tod sei aber nicht das Ende. Die Auferstehung Christi am Ostersonntag wäre der Höhepunkt. Auf diesen Höhepunkt haben wir dann hin geübt und im Laufe der Jahre viel bei der Vorbereitung mitgeholfen.
Von den vielen Aktivitäten in der Karwoche möchte ich nur eine Gebetszeit erwähnen, die eine lange Tradition hat: „ora et labora“. Dahinter verbirgt sich die Regel aus dem Benediktinerorden „bete und arbeite.“Es sind Gebetszeiten, die den Tagesablauf unterbrechen und in der Karwoche täglich zur Mitfeier in die Kirche einladen.
Ein liturgischer Höhepunkt in der Karwoche ist der Gründonnerstag. In „Grün“steckt das Wort „greinen“= weinen. In der Urkirche war es üblich, dass die Menschen, die eine schwere Schuld auf sich geladen hatten, am Gründonnerstag wieder in die Kirche kommen durften, nachdem sie vorher vom Gottesdienst ausgeschlossen worden waren. So verbindet sich das „Weinen“auch mit den „Tränen der Reue“.
Das „Grün“wird auch mit der „Hoffnung“erklärt oder mit dem beginnenden Frühling. In vielen Familien gab es und gibt es noch die Tradition, an dem Tag „grünes Gemüse“zu essen.
Der Gründonnerstag ist der Tag, an dem Jesus mit seinen Jüngern das letzte Abendmahl vor seinem Leiden und Sterben gefeiert hat. Damit verbindet sich der Auftrag, nun immer gemeinsam das Abendmahl zu halten: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“. Zur Feier des Gründonnerstags gehört die Fußwaschung, wie Jesus seinen Jüngern die Füße gewaschen hat. Ein Zeichen des Dienens.
Nach dem „Gloria“in der Messe verstummen Orgel und Glocken. Sie werden bis zum Osterfest nicht mehr gespielt bzw. geläutet. Für die Altarglocken gibt es jetzt die „Ratsche“. Dieses Gerät war für uns Messdiener ganz spannend, weil es nur einmal im Jahr aus dem Schrank geholt wurde. Man musste auch etwas üben, damit das Knarren in der ganzen Kirche zu hören war.
Nach dem Gottesdienst werden Blumenschmuck und Kerzen vom Altar weggeräumt. Ein Zeichen der Trauer für das, was kommt.
Der Hochaltar in St. Peter und Paul zeigt zwei Szenen, die auf den Gründonnerstag hinweisen: Fußwaschung und Abendmahl. Der Hochaltar wurde 1896 von dem Bildhauer Josef Reiß (1835-1900) aus Düsseldorf gestaltet.
Am Karfreitag gab es schon immer einen Gottesdienst mit Blick auf die Todesstunde Jesu. Eigentlich war dieser Tag aber in meiner Erinnerung ein Arbeitstag. Der Gottesdienst war eher für die Geistlichen.
Küster und Messdiener hatten an den Kartagen besonders viel zu tun. So musste der Küster zum Beispiel mehrfach die Gewänder der Geistlichen wechseln. Violett und Schwarz an Karfreitag und Karsamstag, Weiß an Gründonnerstag, Weiß in der Osternacht. Dann gab es noch den Wechsel zwischen Messgewand und Chormantel. In all diese Symbolik wurden auch wir als Messdiener eingeführt.
Wie schon gesagt, wurden die Altäre nach dem Gottesdienst am Tag vorher abgeräumt. Die Kerzenleuchter kamen in die Sakristei. Jetzt hieß es: Messing und Silber putzen. Der Küster entstaubte mit einem Wedel aus Federn die geschnitzten Altäre und die Kanzel.
Zum Karfreitagsgottesdienst wurde der Hochaltar mit schwarzen Schabraken verkleidet. Die Wände im Chorraum wurden schwarz verhangen. Die heutige für die Gemeinde sehr wichtige Karfreitagsliturgie besteht aus drei Hauptteilen: Wortgottesdienst mit Fürbitten, Kreuzverehrung und Kommunionfeier.
Der Karsamstag ist der Tag der Grabesruhe und der Besuch des „Heiligen Grabes“. Bei uns wird nach dem Karfreitagsgottesdienst ein Kreuz als „Grab“ausgelegt und zur Verehrung mit Kerzen und Blumen geschmückt.
Am Karsamstag gab es in meiner frühen Zeit als Messdiener eine Reihe von Kar-Metten, die den Morgen bestimmten. Heute hat sich diese Liturgie zum Teil in die Osternacht verlagert.
Auch am Samstag gab es für den Küster und uns Messdiener nochmals viel zu tun. Der „schwarze Altar“musste abgebaut werden. Dafür wurden vom Gewölbe herab große Stoffbahnen in Gold-Gelb herabgelassen, die mitten im Chorraum in vier breite Bahnen aufgeteilt wurden und so einen Art Baldachin bildeten. Die Teppiche an den Wänden veränderten sich. Statt der schwarzen Verkleidung kamen jetzt rote Teppiche mit Goldstickerei zum Einsatz. Schließlich wurde das Bodenmosaik mit einem raumgroßen Teppich abgedeckt.
Es folgt die Osternacht mit dem Ostersonntag. Ab 1951 veränderte sich die Liturgie. Die Osternacht wurde eingeführt. Ein starkes Symbol dieser Feier ist das Licht. Der
feierliche Gottesdienst beginnt damit, dass die Kirche völlig dunkel ist. Draußen vor dem Hauptportal wird das Osterfeuer durch Steinschlag (!) angefacht. An ihm wird die Osterkerze entzündet. Die Kerze wird nun in die dunkle Kirche getragen: „Christus ist das Licht – Gott sei ewig Dank!“Das wird dreimal gesungen. Jetzt bekommen von ihr alle Anwesenden das Licht. Beim Gloria erklingen auch wieder die Glocken und die Orgel. Der Kirchenraum erstrahlt im vollen Licht. Die Freude über die Auferstehung drückt sich im mehrfach gesungenem Halleluja aus.
Die Messdiener von St. Peter und Paul erlauben sich jetzt an dieser Stelle im Gottesdienst seit Jahren einen kleinen Gag: Sie haben vor der Opferung heimlich ein Ei (oder einen kleinen Osterhasen) in den Kelch geschmuggelt und warten nun gespannt darauf, wie der Pastor reagiert.
Es ist insgesamt eine starke Dramatik, die diesen nächtlichen Gottesdienst prägt und jedes Mal neu zu Herzen geht. Am Ende trifft man sich unter dem Turm zur Agape bei Brot, Wein und Eiern (!). Die Jugendlichen haben die Eier am Tag vorher gekocht und gefärbt. Auch das Brot wurde selbst gebacken.
Am Ostermontag gibt es in St. Peter und Paul die Tradition, einen Emmaus-Gang durchzuführen. Wie die zwei Jünger machen sich die Gemeindemitglieder auf den Weg und wandern zur Viktorkapelle. Zum Emmaus-Gang gehört das gemeinsame Essen. Jeder hat etwas mitgebracht!
Wie schon angedeutet, haben mich die Karwoche und das Osterfest ein Leben lang begleitet und mit Sicherheit auch geprägt. Es gab eine Menge Einblicke in das „Geheimnis des Glaubens“.
Wenn man die Karwoche rückwirkend betrachtet, gab es immer wieder Veränderungen, bedingt durch Wandel im liturgischen Ablauf oder durch äußere Umstände. Das erleben wir zur Zeit ja auch hautnah. Was aber unverändert bleibt, ist der „rote Faden“, das Geheimnis von Tod und Auferstehung Jesu.